Lieber Thomas, du leitest das Zukunftszentrum Digitale Transformation Thüringen, kurz ZeTT. Bevor wir über die Zukunft der Arbeit sprechen, möchten wir gerne mehr über dich erfahren. Kürzlich haben wir den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Bist du gebürtiger Thüringer? Und wie hast du die Wendezeit 89/90 erlebt?
Ich bin als Kind nach Thüringen gekommen. Die Wendezeit habe ich als Jugendlicher im DDR-Plattenbau erlebt. Es war eine faszinierende und zugleich bedrückende Zeit, voller neuer Möglichkeiten und Unsicherheiten, wenn ich nur an die Arbeitslosigkeit denke. Aber plötzlich wurde Zukunft auch gestaltbar, denn Zukunftsthemen hatten in der „alten“ Welt keinen Platz gehabt. Besonders prägend war für mich in den 1990er Jahren die Entdeckung elektronischer Musik und vor allem das Erobern von neuen Freiräumen.
Welche Ausbildung hast du absolviert, und wie hat sie dich auf deine jetzige Rolle vorbereitet?
Erst einmal wurde ich Buchhändler – ein toller Beruf. Das Lesen inspiriert mich bis heute und bietet mir Raum, um von der digitalen Welt abzuschalten. Anschließend habe ich Soziologie und Politikwissenschaften studiert und sogar promoviert. Vor allem mein Interesse an der Arbeitswelt hat mich in die Erforschung ihrer Transformation geführt. Tatsächlich habe ich viel Zeit in Stahlwerken, Autofabriken und Krankenhäusern verbracht, Gespräche geführt und Veränderungen angesehen.
Wie bist du zu den Zukunftszentren gekommen, und was begeistert dich an dieser Aufgabe?
Das Zukunftszentrum Digitale Transformation Thüringen (ZeTT) entstand in der Zusammenarbeit von fünf Partnern aus Wissenschaft und Beratung. Heute operieren die Ernst-Abbe-Hochschule, die Friedrich-Schiller-Universität, die Technische Universität Ilmenau, Arbeit und Leben Thüringen sowie die Industrie- und Handelskammer Erfurt unter einem Dach als ZeTT. Gemeinsam haben wir uns an der Ausschreibung des Zukunftszentren-Programms des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) beteiligt. Unser Ziel haben wir dadurch erreicht: Wir wollten die drei Universitätsstandorte enger mit der regionalen Wirtschaft vernetzen – auch jenseits der Perlenkette, wie die Autobahn in Thüringen genannt wird.
Besonders motiviert mich, nachhaltige Netzwerke aufzubauen und strukturbildend zu wirken. Nur so kann es gelingen, die kleinbetriebliche Wirtschaft zu stärken und den Beschäftigten Perspektiven im Wandel zu geben. Es geht uns darum, nicht in der Kritik zu verharren, sondern Chancen zu sehen und auch hier wieder Freiräume zu öffnen, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Angesichts der Wahlergebnisse bei der letzten Landtagswahl: Was bedeuten diese für eure Arbeit?
Die Wahlergebnisse sind ein Rückschlag und blockieren die Regionalentwicklung in den nächsten Jahren. Es wird jetzt nicht einfacher, Thüringen als attraktiven Wirtschaftsstandort zu positionieren. Wir arbeiten gegen die aufkommende Stimmung, jetzt die Koffer packen zu wollen. Wir bestärken uns gegenseitig und halten an unserer Vision fest, Räume für positive Zukunftsperspektiven zu kreieren. Und es ja auch dringend nötig angesichts der teilweise sehr schlechten Rezessionsnachrichten aktuell aus der Industrie. Jetzt geht es darum, neues Vertrauen wieder aufzubauen – auch durch verlässliche Unterstützungsstrukturen des Bundes und Europas.
Spielst du hier auf das Zukunftszentren-Programm an, das darauf zielt, die Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt in den Regionen zu stärken?
In der Tat, das Programm ist besonders wichtig, um nachhaltige Zukunftsnetzwerke aufzubauen. Hinzu kommt, dass das Programm nicht nur den Kontakt zu den Unternehmen ermöglicht, sondern gerade die Beschäftigten im Blick behält. Wir können mit unserer Arbeit zeigen, wie jeder und jede Einzelne von uns die Zukunft aktiv mitgestalten kann. Auch das stärkt das Vertrauen in Gestaltungsspielräume in Unternehmen und in demokratische Prozesse insgesamt.
Wie erreicht ihr die Unternehmen? Und gibt es eine Geschichte, die dich besonders bewegt hat?
Es sind oft kleine Geschichten, die bewegen. So ein Beispiel, das wir auch zur Jahrestagung im November mit nach Berlin mitbringen, möchte ich hier hervorheben. „Das Büro der Zukunft“ beschäftigt uns seit der Corona-Pandemie verstärkt. In dieser Diskussion geht es um die Transformation der Arbeitswelt in Form permanenter Wechsel zwischen mobiler Arbeit und Präsenzarbeit. Dadurch entstehen immer wieder neue Anforderungen an Büroumgebungen. So entstand zusammen mit dem Modellunternehmen ORISA GmbH das „ERGO-Regal“ zur Unterstützung der gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung. Dieses Regal bietet viele Hilfsmittel zum Ausprobieren. Und wir planen, das Regal weiterzuentwickeln, indem wir es mit Bewegungsprogrammen verbinden, um insgesamt das Zusammenspiel von Ergonomie und Gesundheitsbewusstsein am mobilen Arbeitsplatz zu fördern.
Und zum Abschluss unseres Interviews, hast du noch einen Lesetipp für uns?
Als ehemaliger Buchhändler verfolge ich die Preisverleihungen der Buchmesse. In diesem Jahr hat ein Werk gewonnen, das auch zu unseren Diskussionen über die Zukunft der Arbeitswelt passt. Martina Hefter erzählt in ihrem Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ die Geschichte einer Frau, die sich bewusst auf Beziehungen mit Love-Scammern – früher hätte man Heiratsschwindler gesagt – einlässt. Die Auseinandersetzung mit Vertrauen und Täuschung in virtuellen Räumen macht den Roman auch für unsere Diskussionen interessant.