Wissenspool-Beitrag

Corona: Chance und Anschub für die digitale Transformation?

– ein Arbeitspapier –
10.06.2020
Lesezeit: ca. 14 min

Die Corona-Krise traf die deutsche Wirtschaft unerwartet im März 2020: Nachdem die Infiziertenzahlen exponentiell wuchsen und die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems drohte, reagierten die politischen EntscheidungsträgerInnen mit weitreichenden regionalen und überregionalen Einschränkungs- und Schließungs- maßnahmen. Diese hatten zur Folge, dass innerhalb weniger Tage Angestellte ihre Büros nicht mehr betreten konnten, (grenzüberschreitende) Lieferketten destabilisiert wurden und die allgemeine Unsicherheit zu einem Nachfragerückgang der VerbraucherInnen mit gleichzeitiger Schließung von Geschäften des Einzelhandels führte. Insbesondere regionale, kleine und mittelgroße Unternehmen, selten weder mit größeren Liquiditätsreserven noch mit hoher Flexibilität ausgestattet, kamen schnell an ihre wirtschaftlichen Grenzen, deren mittel- und langfristigen Folgen für die Unternehmen selbst und der Regionalwirtschaft im Gesamten sich derzeit kaum einschätzen lassen.

Am 10. Juni 2020 trafen sich erstmals AkteurInnen der Regionalen Zukunftszentren zu einem ersten Kennenlernen und Austausch. Da erwartet werden konnte, dass die AkteurInnen der Zukunftszentren als BeraterInnen für digitale Veränderungsprozesse (BMAS 2019) mit den regionalwirtschaftlichen Folgen der pandemiebedingten Maßnahmen konfrontiert werden, war es die Intention des Workshops, unternehmensrelevante Problemstellungen aus der Regionalwirtschaft zu sammeln, konkrete Bedarfe zu diskutieren und erste Problemlösungsstrategien zu evaluieren. Zudem wurde das Blitzlicht auf die Zeit „nach Corona“ erweitert und auch hier die besonderen Ansprüche von KMU im Kontext der digitalen Transformation thematisiert.

Aufbauend auf diesen Workshop wurde dieses Arbeitspapier erstellt. Es handelt sich dabei um eine thesenartige Aufstellung und Teildiskussion der Workshopergebnisse. Das Arbeitspapier ist weniger eine abschließende beziehungsweise vollinformierte Betrachtung und Analyse der coronabedingten Wirtschaftssituation, sondern soll vielmehr in Teilen anregen und als Basis für eine weitere Vertiefung des Themas dienen.

Die Regionalwirtschaft in der Corona-Krise

Die Wirtschaft erlebte einen Einbruch nie geahnten Ausmaßes: Die Prognose des BIPs für das Jahr 2020 beträgt -6,6 % (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2020). Die Lockdown-Maßnahmen erschütterten besonders das Gastgewerbe, wo der Umsatz um 45 Prozent einbrach; die Rückgänge waren aber auch im gesamten verarbeitenden Gewerbe nicht unerheblich, wie etwa ein Rückgang um 15 Prozent im Einzelhandel mit Nicht- Lebensmitteln (Statistisches Bundesamt 2020; zur Situation in Thüringen siehe Schädlich/Sittel/Engel 2020). Auch wenn hier die VerbraucherInnen anfangs die größten Befürchtungen äußerten, war die Versorgung des täglichen Bedarfs kaum gefährdet. Engpässe der Produktion waren nicht zu erkennen, und wenn doch, dann konnten diese durch Abbau der Bestände aus Zwischenlager meistens kompensiert werden. Dass bei manchen Produkten kurzzeitig die Supermarktregale leer waren, lag weniger daran, dass Lieferketten insgesamt eingeschränkt waren, sondern war aufgrund überraschenden KundInnenverhaltens („Hamsterkäufe“) eher ein temporäres Nachschubproblem. Dennoch stehen leere Supermarktregale exemplarisch auch für andere Bereiche – denn temporäre Versorgungsengpässe sind genau da folgenreich, wo die Produktionslinien eng getaktet und wenig Puffer eingebaut sind, also da, wo z. B. Just-In-Time-Ansätze in der Logistik zur Anwendung kommen. Dies trifft insbesondere auf die Automobilbranche zu. Eine weitere Folge war, dass ein Großteil an MitarbeiterInnen nicht mehr das Unternehmen betreten durften und ins Homeoffice wechseln mussten. Von dort aus standen sie vor der Aufgabe, die Unternehmensgeschicke „von außen“ oder „remote“ zu leiten beziehungsweise die Aufgaben des Tagesgeschäfts zu erledigen.

Als Reaktion wurde im Eilverfahren versucht, die Geschäftsprozesse zu digitalisieren. Dazu zählen vor allem:

  • die Suche nach neuen Vertriebskanälen v. a. die Überführung des Präsenzhandels in den Online-Handel,

  • Geschäftstätigkeiten, z. B. Kontakte zu KundInnen und GeschäftspartnerInnen, virtuell in Telefon- und Videokonferenzen umzusetzen, und

  • ebenso interne Geschäftsprozesse bzw. die innerbetriebliche Organisation zu digitalisieren, um diese im Homeoffice bearbeiten zu können (z.B. mittels Kommunikations- und Kollaborationstools).

Interessant ist hier jedoch vor allem eins: Unternehmen, die bisher nicht oder kaum auf virtuelle Kommunikation oder Zusammenarbeit gesetzt haben, mussten nun, aus den Notwendigkeiten einer Krise heraus und mangels Alternativen, genau auf diese setzen. Bisherige BedenkenträgerInnen mussten nunmehr feststellen, dass die meisten Argumente sich nicht oder kaum bewahrheitet haben. Dies kann nun Anlass sein, mit den alten Denkmustern zu brechen und sich offener gegenüber digitalen Transformation zu positionieren.

Die oben beschriebenen Gegenmaßnahmen führten dazu, dass zum einen der Internethandel boomte und bereits bestehende E-Commerce-Plattformen nochmal weiter enorm wuchsen. Der Umsatz von HelloFresh stieg im Vergleich zum Vorquartal um 66 % auf 700 Millionen. Die KundInnenanzahl stieg um rund eine Million auf fast 4,2 Millionen und zwischenzeitlich konnten keine neuen KundInnen mehr angenommen 

werden (HelloFresh 2020). Jedoch sollte nun nicht geschlussfolgert werden, dass digitale Geschäftsmodelle immer erfolgreicher bzw. krisenresistenter sind. Einige AnbieterInnen, die auf ein rein digitales Geschäftsmodell setzen, kamen in erhebliche Schwierigkeiten (siehe z. B. AirBnB oder booking.com). Selbst Zalando, welche im Modebereich agieren und vor allem online ihre Waren vertreiben, hatten einige Schwierigkeiten. Die Bruttomarge sank um 3,6 Prozentpunkte und die erhöhten Kosten führten zu einem EBIT- Verlust von -94,7 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahresquartal (Zalando 2020).

Die querschnittliche Betrachtung der gesamtwirtschaftlichen Folgen der Corona- Pandemie konnte im Workshop auf regionalwirtschaftlicher Ebene bestätigt werden. Die VertreterInnen der Regionalzentren sahen vor allem die Existenzsicherung, durch die angespannte Liquiditätssituation, und Umgang mit der Überführung vom Arbeitsplatz ins Digitale im Vordergrund. Im Fokus der Bewältigungsstrategien stand, Liquiditätsengpässe auszugleichen und Unternehmensstrukturen und -abläufe zu stabilisieren, wobei hier bereits wirtschaftspolitische Maßnahmen gezielt wirken sollten (Förderungen, Kurzarbeitergeld, Kredite).

Im Workshop wurde festgestellt, dass digitale und technische Kompetenzen zwar durchaus vorhanden sind, diese aber weiter ausgebaut werden müssten. Dabei wäre wichtig, ein allgemeines Verständnis zur digitalen Technologie herzustellen und auch Überzeugungsarbeit zu leisten, diese auch zu nutzen. Darauf aufbauend wurden Konzepte diskutiert, um die Kompetenz für und Möglichkeiten der digitalen Transformation weiter auszubauen. Es hatte sich gezeigt, dass nicht nur ältere Menschen Probleme mit dem Homeoffice hatten, sodass die Ideen zur Bewältigung von der Nutzung von einfachen Screencasts (Video mit der Arbeitsabfolge am Bildschirm) bis zu spielerischen Ansätzen in einem Escaperoom reichten. Hintergrund war vor allem, dass die technische Komponente nicht das Hauptproblem darstellt, sondern das die MitarbeiterInnen oft den Umgang mit den Onlinetools nicht gewöhnt sind und so die Vor- und Nachteile nicht richtig einordnen. Es wäre also zu empfehlen, niedrigschwellige Ansätze zu entwickeln und Lernumgebungen zu schaffen, die Interesse wecken und auch aufrechterhalten, z. B. durch innovative Formate bei der NutzerInneninteraktion.

Fazit

Unklar ist, wann die Coronakrise vorbei ist und wie es weitergehen wird. Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Ausmaß die Infektionsraten wieder zunehmen werden und wie dann politische EntscheidungsträgerInnen darauf reagieren. Zudem muss beobachtet werden, welche mittel- und langfristige Auswirkungen zu erwarten sind – die Spannbreite möglicher Szenarien reicht von einer schnellen weitgehenden Erholung der (Regional-)Wirtschaft bis hin zu einer länger währenden Depression mit weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen. Die Unsicherheit, wie es in den folgenden 

Quartalen weitergeht, lässt sich kaum nehmen und die Unternehmen im Unklaren. Eine absolut umfassende Lösung wird sich nicht finden lassen. Es ist dennoch möglich, sich bestmöglich vorzubereiten und entsprechende Maßnahmen zu evaluieren und umzusetzen.

Sicherlich: Die wirtschaftliche Bewältigung der Corona-Pandemie war eine Herausforderung auf vielen Ebenen, jedoch konnte durch eine Digitalisierung von Unternehmensprozessen ein relativ erfolgreiches Krisenmanagement betrieben und dadurch einige Schäden begrenzt werden. Neben allen Schwierigkeiten lohnt es sich, den gegangenen Weg weiter zu verfolgen und vielleicht sogar den Blick dahin zu lenken, welche Chancen die digitale Transformation bereithält. Es wäre ein Fehler, den Digitalisierungsanschub nicht als solchen wahrzunehmen, womöglich sogar alles wieder auf den Ausgangszustand zurückzuversetzen. Im Gegenteil sollten die neu entwickelten Gewohnheiten und das Erkennen der Vorteile genutzt werden, sich proaktiv mit der digitalen Transformation auseinanderzusetzen, d. h., Prozesse und Geschäftsmodelle „digital“ komplett neu zu denken und nicht nur „altes“ zu digitalisieren.

Klar ist, dass eine erfolgreiche digitale Transformation gewisse Voraussetzungen benötigt. Innerhalb der Organisation müssen technische Grundvoraussetzungen geschaffen werden, insbesondere der Aufbau einer funktionierenden und passenden IT- Infrastruktur – teilweise genügt es schon, dass ausreichend Laptops und eine sinnvolle Cloudlösung zur Verfügung stehen. Selbstverständlich sollten hier alle Maßnahmen der Datensicherheit und des Datenschutz von z. B. KundInnendaten beachtet werden; v. a. sollte sichergestellt werden, dass die MitarbeiterInnen hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen entsprechend geschult werden. Ebensolche Bedingungen sollten im Homeoffice geschaffen werden, zumindest sollte Hard- und Software vorhanden und der Internetzugang mit ausreichender Bandbreite ausgestattet sein. Neben den technischen Voraussetzungen sollte sichergestellt werden, dass die bereits bestehenden analogen Prozesse durchdacht und effizient im Unternehmen eingesetzt sind. Erst dann lohnt es sich, die Prozesse ins Digitale zu transformieren. Wichtig ist, dass digitale Transformationsinitiativen aus der Unternehmensführung kommen und sich im Leitbild des Unternehmens widerspiegeln müssen. Eine gemeinsame Basis schafft Orientierung für alle Angestellten und gleichzeitig den Grundstock für Weiterentwicklung und Verbesserungen. Die MitarbeiterInnen müssen gemeinsam mit ihren Vorgesetzten erarbeiten, welche technischen Kompetenzen erwartet werden, und für den Aufbau notwendiger Kompetenzen sorgen.

Natürlich müssen neben der eigenen IT-Infrastruktur auch die Rahmenbedingungen der Umwelt stimmen. Dazu gehören das Vorantreiben des Breitbandausbaus sowohl für Industrie 4.0- als auch für Homeoffice-Anwendungen. Des Weiteren sollten für Unternehmen mit geringen Möglichkeiten weitreichender Investitionen Wirtschaftsförderprogramme auf den Weg gebracht werden, die die Unternehmen dabei unterstützen, bestehende Geschäftsprozesse zu digitalisieren und neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln – unabhängig, ob die daraus resultierenden Erfolge kurzfristig, als Krisenbewältigungsmechanismus, oder langfristig, für ein erfolgreiche Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen, sein werden.

Referenzen

BMAS. 2019. Ostdeutsche Beschäftigte gezielt im Wandel unterstützen, URL: https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/ostdeutsche-bundeslaender- zukunftszentren.html

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. 2020. Wirtschaftliche Entwicklung und Konjunktur. URL: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Dossier/wirtschaftliche-entwicklung.html

HelloFresh. 2020. Q1 2020: HelloFresh SE records very successful start to the year. URL:

https://www.hellofreshgroup.com/websites/hellofresh/English/4999/news- detail.html?newsID=1956497

Schädlich, Christian/Sittel, Johanna/Engel, Thomas. 2020. Thüringens Corona-Flanken: Schließung des Binnenmarktes, Außenhandelsblockaden und krisenanfällige Branchen. ZeTT-Diskussionspapiere Analyse, Nr. 2

Statistisches Bundesamt. 2020. Wirtschaftliche Auswirkungen. Statistiken mit Bezug zu COVID-19

Zalando. 2020. Zalando Group Financials as of Q1/20 (May 07, 2020). URL: https://corporate.zalando.com/sites/default/files/media-download/2020-05-07 Zalando Financials Q1 2020 final.pdf

Autor
Sven Preußer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig

Fakultät Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsingenieurwesen

Forschungszentrum Life Science & Engineering

Eilenburger Str. 13 | 04317 Leipzig | Raum FZ 107

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