Wissenspool-Beitrag

Technology-assisted supplemental work

Auswirkungen von Arbeit nach Dienstschluss – Zum gesunden Umgang mit ständiger Erreichbarkeit, ein Gastbeitrag von Clara Eichberger
07.12.2022
Lesezeit: ca. 18 min

Die Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK; siehe auch Beitrag zur Wirkung von Informations- und Kommunikationstechnologien) ermöglicht es Beschäftigten, sich auch nach Feierabend noch mit arbeitsbezogenen Inhalten auseinanderzusetzen. Viele machen täglich davon Gebrauch und bearbeiten beispielsweise nach dem Abendessen ihr E-Mail-Postfach oder führen auf dem Heimweg noch Telefonate mit Kolleg*innen. In einigen Professionen (z. B. Berufe mit hohem Beratungsanteil und Kundenkontakt) wird es von Beschäftigten sogar erwartet, dass sie auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten noch verfügbar sind und sich mit arbeitsbezogenen Inhalten befassen. In der Wissenschaft fasst man solches Verhalten häufig als „technology-assisted supplemental work“, kurz TASW (Fenner & Renn, 2004, 2010), zusammen.

Technology-assisted supplemental work

  • die Ausübung arbeitsbezogener Tätigkeiten außerhalb des Arbeitsplatzes (z. B. zu Hause)
  • nach der regulären Arbeitszeit
  • durch Vollzeit-Beschäftigte „Wissensarbeiter“ und Büroangestellte
  • mit Hilfe von IuK (z. B. Laptops, Smartphones)

Seit einigen Jahren beschäftigt sich die arbeitspsychologische Forschung mit der Frage, welche Auswirkungen TASW und die damit einhergehende Aufweichung der Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben auf verschiedene Parameter des mentalen und physischen Wohlbefindens haben. Insgesamt zeichnet sich hierbei ein eher negatives Bild ab. Die abendliche Beschäftigung mit Arbeitsinhalten kann sowohl zu Konflikten zwischen Arbeits- und Privatleben führen wie auch das Abschalten von der Arbeit und damit den täglichen Erholungsprozess beeinträchtigen. Beides kann sich nachteilig auf das Wohlbefinden auswirken, wie die nebenstehende Grafik veranschaulicht. In den nachfolgenden Menüs finden Sie weitere Informationen dazu, wie TASW a) zu Konflikten zwischen Arbeits- und Privatleben führen kann, b) den Erholungsprozess beeinträchtigt und c) allgemein auf das physische und psychische Wohlbefinden wirkt.

Grafik_TASW_1
a) TASW und Konflikte zwischen Arbeits- und Privatleben

Wenn Beschäftigte TASW nutzen, kommt es zu einer Aufweichung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben, da Beschäftigte Aufgaben ausführen (Arbeit), die normalerweise nicht im privaten Kontext stattfinden. Das kann die Entstehung von Konflikten zwischen diesen beiden Lebensbereich begünstigen (Diaz et al., 2012). Wenn Beschäftigte nach Feierabend arbeitsbezogenen Tätigkeiten nachgehen, kann es passieren, dass geplante private Aktivitäten wie beispielsweise ein Sporttraining oder eine Chorprobe ausfallen müssen. Auch die Ausübung familiärer Rollen (z. B. Kinderbetreuung) kann durch die Ausübung von TASW, allein schon aus Zeitmangel, eingeschränkt sein. Zusätzlich bindet die Beschäftigung mit arbeitsbezogenen Inhalten Aufmerksamkeit, sodass dem privaten Kontext nur „die halbe Aufmerksamkeit“ gewidmet werden kann (Ladner, 2008). All dies geht häufig mit interpersonalen Konflikten einher (Carlson et al., 2018) oder dem unangenehmen Gefühl, den privaten Erwartungen (z. B. von Familie und Freunden) nicht im gewünschten Maße gerecht geworden zu sein. Das kann sich wiederum negativ auf das individuelle Wohlbefinden auswirken. Bisher deuten nur wenig Studien darauf hin, dass TASW die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben erleichtert, indem beide Bereiche orts- und zeitflexibel bespielt werden können (Wajcman et al., 2010).

b) TASW und Erholung

Normalerweise ist die Zeit nach Feierabend dafür reserviert, mental von der Arbeit abzuschalten und sich zu erholen. Dies ist besonders wichtig, um Ressourcen wieder aufzufüllen, die während des Arbeitstages beansprucht wurden (Meijman & Mulder, 1998). Durch das Ausüben von TASW wird dieser Erholungsprozess gestört. Man befasst sich weiterhin gedanklich mit arbeitsbezogenen Inhalten und der Vorgang des Abschaltens, im Wissenschaftsjargon „psychological detachment“ genannt, findet wenig oder kaum statt (Eichberger et al., 2020). Manchmal kann es sogar sein, dass die abendliche Beschäftigung mit Arbeitsinhalten negative Gedanken und Grübeln auslöst, weil man beispielsweise noch eine kritische E-Mail gelesen hat (Minnen et al., 2020). Zusätzlich reduziert sich durch TASW automatisch die verbleibende Zeit, um Erholungsaktivitäten (z. B. Sport, Lesen) auszuüben. Personen, die sich nach Feierabend im Rahmen von TASW noch mit ihrer Arbeit beschäftigen, berichten daher, schlechter abschalten zu können (Derks et al., 2014) und weniger Erholung zu finden (Gombert et al., 2018) als solche Leute, die den Abend mit nicht‑arbeitsbezogenen Aktivitäten verbringen. Das fehlende Abschalten und die damit ausbleibende Erholung kann wiederum negative Folgen für das Wohlbefinden (Ward & Steptoe-Warren, 2014) haben und auch dazu führen, dass Betroffene schlechter schlafen (Lanaj et al., 2014).

c) TASW und Wohlbefinden

Studien sind sich einig, dass die Nutzung von TASW eine bedeutsame Wirkung auf das Wohlbefinden haben kann. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen deuten schwerpunktmäßig darauf hin, dass sich die technologie‑gestützte Beschäftigung mit Arbeitsinhalten nach Feierabend negativ auf das mentale und physische Wohlbefinden auswirkt. Zu den berichteten mentalen Folgen von TASW gehören beispielsweise eine schlechtere Stimmung (Eichberger et al., 2020), ein erhöhtes Erschöpfungsgefühl (Derks et al., 2014; Gombert et al., 2018) und mehr Stresserleben (Schieman & Young, 2013). Auch physisch kann sich TASW negativ auswirken, indem zum Beispiel die Schlafqualität beeinträchtigt (Schieman & Young, 2013) oder das Risiko für verschiedene gesundheitliche Beschwerden erhöht wird (Arlinghaus & Nachreiner, 2014). Nur wenige Studien berichten von positiven Zusammenhängen zwischen TASW und Wohlbefinden wie beispielsweise gesteigerter Arbeitszufriedenheit (Diaz et al., 2012). In einer aktuellen Studie wurde ein positiver Zusammenhang zwischen TASW und positiver Stimmung gefunden (Eichberger et al., 2020). Dies galt jedoch nur, wenn die abendliche Arbeitstätigkeit mit einer positiven geistigen Haltung verbunden war, also einer Fokussierung auf die Chancen beruflicher Herausforderungen und der gezielten Suche nach Lösungen für arbeitsbezogene Probleme.

Handlungsempfehlungen zum gesunden Umgang mit ständiger Erreichbarkeit

Obwohl viele Forschungsbefunde dafürsprechen, dass das Ausüben von TASW negative Folgen für das Wohlbefinden haben kann, erscheint es aufgrund der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung der Arbeitswelt unrealistisch, Beschäftigten den kompletten Verzicht auf TASW zum Schutze ihrer Gesundheit zu empfehlen. Vielmehr muss es darum gehen, eine gesunde Balance im Umgang mit TASW zu finden. Die aktuelle Forschung zu TASW legt einige Empfehlungen nahe, die es im Zusammenhang mit TASW zu berücksichtigen gilt. Diese lassen sich in Handlungsempfehlungen auf der Ebene der Mitarbeitenden, der Führungskraft und der Organisation unterteilen. Die nebenstehende Grafik fasst die Empfehlungen zusammen.

Grafik_TASW_2
Handlungsempfehlungen Ebene Mitarbeitende

  • Beschäftigte sollten sich bewusst Zeiten für TASW einteilen. Es ist besser, geplant eine halbe Stunde E-Mails zu bearbeiten, anstatt den ganzen Abend alle paar Minuten seine Nachrichten zu checken.
  • Auch Erholungszeiten sollten klar definiert und reserviert werden. Diese sollten außerdem möglichst störungsfrei gestaltet werden, sodass eine gedankliche Rückkehr in die Arbeitswelt so gut wie möglich verhindert wird. Dies kann beispielsweise durch das Ausschalten von IuK erreicht werden.
  • Beschäftigte sollten sich außerdem ihrer Präferenzen für die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben bewusstwerden und wo möglich danach handeln. Während manche es schätzen, sehr spontan zwischen den beiden Lebensbereichen zu wechseln, erleben dies andere als belastend und bevorzugen eine klare Trennung. Gelingt es Beschäftigten, kongruent zu ihren diesbezüglichen Präferenzen zu leben, führt dies zu mehr Wohlbefinden (z. B. keine beruflichen E-Mails am Abendbrottisch).
  • Es kann immer vorkommen, dass intensive Arbeits- und Projektphasen es erfordern, TASW auszuüben. Beschäftigte sollten aber versuchen, dies nur in Verbindung mit einer positiven geistigen Haltung zu tun. Forschung hat gezeigt, dass das Ausüben von TASW sich auch positiv auf die Stimmung auswirken kann, solange es mit einer positiven Einstellung einhergeht. Wer die abendliche Arbeit als Möglichkeit auffasst, berufliche Herausforderungen zu meistern, Zeitdruck zu reduzieren und mehr Autonomie zu gewinnen sowie sich der Lösung von arbeitsbezogenen Problemen konstruktiv nähert, der kann von TASW sogar profitieren.
  • Trotzdem kann TASW keine Dauerlösung sein, um anhaltend hohe Arbeitsbelastungen zu bewältigen. In diesem Fall sollten mit dem Team und/oder der/dem Vorgesetzten Möglichkeiten zur Umverteilung der Arbeitsaufgaben evaluiert werden, sodass diese in der regulären Arbeitszeit zu meistern sind.

Handlungsempfehlungen Ebene Führungskraft

  • Führungskräfte haben eine wichtige Vorbildrolle beim Thema TASW, derer sie sich bewusst sein sollten. Wenn Führungskräfte abends E-Mail versenden, kann dies den Eindruck erwecken, dass abendliches Arbeiten zumindest begrüßt, wenn nicht sogar erwartet wird.
  • Damit einher geht die Empfehlung an Führungskräfte, Erwartungen bezüglich der Erreichbarkeit nach Feierabend klar zu kommunizieren.
  • Zusätzlich haben Führungskräfte auch die Aufgabe, aufmerksam für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden und die Häufigkeit, mit der ihre Mitarbeitenden nach Feierabend noch arbeiten, zu sein. Zeichnet sich ab, dass Mitarbeitende regelmäßig die Stunden nach Feierabend für arbeitsbezogene Zwecke nutzen, sollten Führungskräfte dies zumindest in einem Gespräch thematisieren.

Handlungsempfehlungen Ebene Organisationen

  • Von der Organisation angebotene Seminare und Schulungen zu den Themen Erholung, Work-Life Balance und achtsamer Umgang mit TASW können Mitarbeitenden helfen, ihr eigenes TASW-Verhalten zu reflektieren, sich der Risiken von TASW bewusst zu werden und einen gesunden Umgang mit ständiger Erreichbarkeit/Verfügbarkeit zu erlernen.
  • Zusätzlich kann auf organisationaler Ebene für die Schaffung einer Unternehmenskultur gesorgt werden, in der es Mitarbeitenden gestattet ist, entsprechend ihren Präferenzen für die Trennung zwischen Arbeits- und Berufsleben zu agieren.

Fazit

Das Ausüben von TASW kann ein Risiko für das mentale und physische Wohlbefinden von Beschäftigten bedeuten. Sowohl Konflikte zwischen Berufs- und Privatleben als auch ausbleibende Erholung, vermehrte Erschöpfung und schlechter Schlaf sind mögliche Folgen von technologie-gestützter Arbeit nach Feierabend/Dienstschluss. Gleichzeitig können Beschäftigte aber auch von der Möglichkeit, sich nach Feierabend mit arbeitsbezogenen Inhalten zu beschäftigen profitieren. Daher gilt es sowohl für Mitarbeitende als auch für Führungskräfte und Organisationen ihre arbeitsbezogenen Tätigkeiten nach Feierabend kritisch zu reflektieren und einen gesunden und achtsamen Umgang mit TASW zu finden.

In einem zukünftigen Beitrag widmen wir uns der Frage, wie beschriebenen Handlungsempfehlungen in der Praxis umgesetzt werden. Darüber hinaus beleuchten wir die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Geschäftsführungen und Interessenvertretungen bei der Umsetzung beachten müssen. Dabei sollen vor allem die Potenziale und Grenzen innerbetrieblicher Regelungen in den Blick genommen werden.

Referenzen

  • Arlinghaus, A., & Nachreiner, F. (2014). Health effects of supplemental work from home in the European Union. Chronobiology International, 31(10), 1100-1107. Retrieved from https://doi.org/10.3109/07420528.2014.957297
  • Carlson, D. S., Thompson, M. J., Crawford, W. S., Boswell, W. R., & Whitten, D. (2018). Your job is messing with mine! The impact of mobile device use for work during family time on the spouse’s work life. Journal of Occupational Health Psychology, 23(4), 471-482. https://doi.org/10.1037/ocp0000103
  • Derks, D., van Mierlo, H., & Schmitz, E. B. (2014). A diary study on work-related smartphone use, psychological detachment and exhaustion: examining the role of the perceived segmentation norm. Journal of Occupational Health Psychology, 19(1), 74-84. https://doi.org/10.1037/a0035076
  • Diaz, I., Chiaburu, D. S., Zimmerman, R. D., & Boswell, W. R. (2012). Communication technology: Pros and cons of constant connection to work. Journal of Vocational Behavior, 80(2), 500-508. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2011.08.007
  • Eichberger, C., Derks, D., & Zacher, H. (2020). Technology-assisted supplemental work, psychological detachment, and employee well-being: A daily diary study. German Journal of Human Resource Management, Advance Online Publication. https://doi.org/10.1177/2397002220968188
  • Fenner, G. H., & Renn, R. W. (2004). Technology‐assisted supplemental work: Construct definition and a research framework. Human Resource Management: Published in Cooperation with the School of Business Administration, The University of Michigan and in alliance with the Society of Human Resources Management, 43(2‐3), 179-200. https://doi.org/10.1002/hrm.20014
  • Fenner, G. H., & Renn, R. W. (2010). Technology-assisted supplemental work and work-to-family conflict: The role of instrumentality beliefs, organizational expectations and time management. Human Relations, 63(1), 63-82. https://doi.org/10.1177/0018726709351064
  • Gombert, L., Rivkin, W., & Kleinsorge, T. (2018). A diary-study on work-related smartphone use and employees’ well-being: the moderating role of basic need satisfaction. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 72(2), 111–119. https://doi.org/10.1007/s41449-017-0090-7
  • Ladner, S. (2008). Laptops in the living room: Mobile technologies and the divide between work and private time among interactive agency workers. Canadian Journal of Communication33(3), 465-489.
  • Lanaj, K., Johnson, R. E., & Barnes, C. M. (2014). Beginning the workday yet already depleted? Consequences of late-night smartphone use and sleep. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 124(1), 11-23. https://doi.org/10.1016/j.obhdp.2014.01.001
  • Meijman, T. F., & Mulder, G. (1998). Psychological aspects of workload. Handbook of work and organizational psychology2(2), 5-34.
  • Minnen, M. E., Tanya, M., Alexa, K. R., & Charles, C. (2020). The Incessant Inbox: Evaluating the Relevance of After‐Hours E‐Mail Characteristics for Work‐Related Rumination and Well‐Being. Stress and Health. https://doi.org/10.1002/smi.2999
  • Schieman, S., & Young, M. C. (2013). Are communications about work outside regular working hours associated with work-to-family conflict, psychological distress and sleep problems? Work & Stress, 27(3), 244-261. https://doi.org/10.1080/02678373.2013.817090
  • Wajcman, J., Rose, E., Brown, J. E., & Bittman, M. (2010). Enacting virtual connections between work and home. Journal of sociology, 46(3), 257-275. https://doi.org/10.1177/1440783310365583
  • Ward, S., & Steptoe-Warren, G. (2014). A conservation of resources approach to BlackBerry use, work-family conflict and well-being: Job control and psychological detachment from work as potential mediators. Engineering Management Research, 3(1), 8-23. http://dx.doi.org/10.5539/emr.v3n1p8

Weiterführende Literatur

  • Ďuranová, L., & Ohly, S. (2016). Persistent work-related technology use, recovery and well-being processes: Focus on supplemental work after hours. Heidelberg: Springer.
  • Schlachter, S., McDowall, A., Cropley, M., & Inceoglu, I. (2018). Voluntary work-related technology use during non-work time: A narrative synthesis of empirical research and research agenda. International Journal of Management Reviews, 20(4), 825-846. doi:10.1111/ijmr.12165

Autor
Clara Eichberger

Externe Doktorandin

Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie
Universität Leipzig
Institut für Psychologie
Neumarkt 9-19
04109 Leipzig

Kontaktformular