Aufgabenprofile für digitale Geschäftsmodelle
Einleitung
Während Unternehmen noch damit beschäftigt sind, die Digitalisierung mit all ihren technologischen, komplexen Aufgaben erfolgreich umzusetzen, wartet bereits eine nächste Herausforderung auf sie, die gleichwohl auch als Chance betrachtet werden sollte. Nunmehr geht es darum, jene Ressource nutzbar zu machen und effektiv einzusetzen, welche durch die digitale Transformation qualitativ und quantitativ eine zunehmend wachsende Bedeutung erlangt (Acharjya & Kauser 2016): Daten, eigentlich wenig komplexe Zeichenketten, die aber dann, wenn sie sinnvoll verarbeitet werden und eine Bedeutung erhalten, zu Informationen und schlussendlich, unter Rückgriff auf Erfahrungen, zu entscheidungsorientiertem Wissen zusammengeführt werden können (Cleve & Lämmel 2016). Im Geschäftsalltag können Daten genutzt werden, um komplexe Sachverhalte besser zu analysieren und daran operative und strategische Entscheidungen abzuleiten (Bose 2009). Somit können beispielsweise Kundenwünsche frühzeitig erkannt und zur Produkt(weiter)entwicklung eingesetzt, Marketingkampagnen besser gesteuert und Abläufe in der Produktion oder im Lieferantenmanagement verbessert werden (Coleman 2016).
Jedoch ist der Anteil der Unternehmen, die komplexere Datenanalysen wie Verfahren des maschinellen Lernens zur Unterstützung von Entscheidungen anwenden, noch gering (Bitkom 2020, Fritsch & Krotova 2020). Besonders in den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), wo der Einsatz von Daten selten über eine sporadische und fragmentarische Nutzung hinausgeht, sind konkrete Ideen rar, wo und wie Datenanalysen eingesetzt werden können, als auch an Vorgehensweisen, wie eine sinnvolle Datennutzung erfolgen kann (Coleman 2016). Daran anschließend lassen sich Potenziale des Einsatzes von Daten zur Produkt- und/oder Prozessoptimierung identifizieren und konkrete Handlungsempfehlungen für das gesamte Unternehmen ableiten.
Datenanalysen in KMU
Obwohl das Potenzial von Datenanalysen vielversprechend scheint, gelingt es insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen in der Breite noch sehr eingeschränkt, komplexere Datenanalysen erfolgreich umzusetzen.
Aktionsfelder des Business Model Canvas bei der Etablierung digitaler Geschäftsmodelle
Osterwalder und Pigneur (2011) entwickelten ein Instrument, den Business Model Canvas (BMC), um alle wesentlichen Bausteine eines Geschäftsmodells zu erfassen und zu analysieren. Das BMC definiert insgesamt neun Aktionsfelder, und kann zur Etablierung von digitalen Geschäftsmodellen genutzt werden:
- Wertangebot: Produkte und/oder Dienstleistungen,
- Kundensegmente: Kund*innen, die das Unternehmen mit seinem Angebot erreichen will,
- Kanäle: Schnittstellen zwischen Unternehmen und Kund:innen,
- Kundenbeziehungen: Maßnahmen zum Aufbau und Pflege der Beziehungen zwischen Unternehmen und Kund:innen,
- Einnahmequellen: Einkünfte aus dem Verkauf von Gütern und/oder dem Angebot von Dienstleistungen,
- Schlüsselressourcen: Mitarbeiter*innen, Maschinen und Kapital,
- Schlüsselaktivitäten: Tätigkeiten und Handlungen im unternehmerischen Kontext, v. a. Prozesse in der Produktion, Logistik und Administration,
- Schlüsselpartnerschaften: externe Personen und Unternehmen im unternehmerischen Kontext, z. B. Lieferanten, Kooperationspartner und
- Kostenstruktur: Kostenblöcke und Kostentreiber, z. B. Einkauf und/oder Produktionsprozess. (Osterwalder & Pigneur 2011)
Kompetenzbedarf bei der Etablierung digitaler Geschäftsmodelle:
Um ein digitales Geschäftsmodell erfolgreich zu etablieren, bietet es sich an, drei Aufgabenprofile im ostdeutschen KMU aufzubauen. Diese sind:
- Basisprofil: Daten kennen, Daten bewerten, Erkenntnisse präsentieren und handeln,
- Aufbauprofil: Datendefizite ermitteln, Datenlösungen suchen, benötigtes Wissen integrieren, Lösungen umsetzen und
- Vertriebsprofil: digitale Vertriebskanäle einsetzen sowie Informationen teilen.
Aufgabenprofile
Der Aufbau von Aufgabenprofilen im Unternehmen unterstützt die Etablierung von digitalen Geschäftsmodellen. Folgende Aufgabenprofile sind zu unterscheiden:
- Basisprofil
- Aufbauprofil
- Vertriebsprofil
Basisprofil
IT-ler*innen, Techniker*innen und/oder Meister*innen kennen und bewerten Daten zu Ressourcen, Partnerschaften, Kunden, Einnahmequellen. Sie präsentieren ihre Erkenntnisse vor der Geschäftsführung. Die Geschäftsführer*innen handeln nach diesen Erkenntnissen.
- IT-ler*innen, Techniker*innen und/oder Meister*innen sollten:
- Daten auffinden, erheben, auslesen
- Datenpunkte ordnen, zuordnen und interpretieren
- Daten visualisieren
- Geschäftsführer*innen sollten:
- digitale Geschäftsmodelle aus Datenpräsentationen ableiten
Im Aufgabenprofil Basis kommt es auf das Zusammenspiel von IT-ler*innen, Techniker*innen und/oder Meister*innen und Geschäftsführer*innen an. Die Vergabe von mitarbeiterbezogenen Zugängen zu Informationen und Sicherheitsklassifizierungen für Anwender sollten bedacht werden. Um Daten aufzufinden, zu erheben und auszulesen, müssen analoge sowie digitale Datenablagen gleichermaßen bekannt sein. Eine Datenabfrage sollte passend zu den von der Datenbank deklarierten Variablen vorbereitet sein, so dass der Auslese nichts im Wege steht. Ein typisches Beispiel ist die Auswertung von Fehlerspeichern. Anschließend werden diese Daten bewertet. Zu diesem Zweck müssen Daten geordnet, ggf. zugeordnet und statistisch auswertet sowie interpretiert werden. Dazu sollte auch eine Fehlerbeseitigung, wie bspw. Dublettenverarbeitung stattfinden. Anschließend sollen die Erkenntnisse präsentiert werden, indem einerseits Daten geeignet visualisiert werden, bspw. mit klassischen Office-Anwendungen und andererseits der Geschäftsführung bzw. Werkleitung geeignet vorgetragen werden. Die visualisierte Darstellung soll individuelle Daten anzeigen. Die Geschäftsführung bzw. Werkleitung handelt nach diesen Erkenntnissen, was bedeutet, dass mögliche digitale Geschäftsmodelle abgeleitet und dessen Etablierung geprüft wird.
Ergebnis: Dies führt zur vollständigen Nutzung von Daten und ermöglicht es, Daten bzgl. ihrer Relevanz zu ordnen. So entstehen neue Erkenntnisse über den eigenen Betrieb. Gleichermaßen ist damit auch die Grundlage für eine wertschöpfende Nutzung von Unternehmensdaten gelegt. So könnte die Optimierung der Lieferantenbasis mit einer entsprechenden Bedarfsprognose vollführt und eine insgesamt gesteigerte Prozesseffizienz erreicht werden. Falls noch nicht etabliert, geben Daten über Kosten und Einnahmen einen wirtschaftlichen Blick über den fiskalischen Stand des Unternehmens.
Aufbauprofil
Techniker*innen und/oder Meister*innen ermitteln Datenbedarfe und planen Lösungen bei Tätigkeiten und Handlungen sowie Produkten und Dienstleistungen und Personler*innen integrieren das dafür benötigte Wissen bei ihren Kollegen. Die Geschäftsführer*innen setzen Lösungen nach eigener Risikobetrachtung um.
- Techniker*innen und/oder Meister*innen sollten:
- Datenbedarf beschreiben, dokumentieren
- Datenlösung planen, gestalten
- Personaler*innen sollten:
- benötigtes Wissen in Lösungen integrieren
- Geschäftsführer*innen sollten:
- Risiken abwägen und digitale Geschäftsmodelle ableiten
Im Aufgabenprofil Aufbau kommt es auf das Zusammenspiel von Techniker*innen und/oder Meister*innen mit Geschäftsführer*innen und Personaler*innen an. Um einen Datenbedarf zu beschreiben, sollten eingangs Defizite identifiziert werden. Häufig sind Qualitätsprobleme zu beheben, bei denen der Einsatz einer digitalen Lösung geeignet scheint. Fehlende Datenwerte und Zugriffsoperationen für relevante Abfragen sollten dokumentiert werden. Durch die Bedarfsbeschreibung werden Defizite sichtbar, können mögliche Störungen erklärt und seine Ursachen bekämpfen werden. Fehler abzuschätzen und Fehlerquellen zu überprüfen sollte den Techniker*innen und/oder Meister*innen geläufig sein. Anschließend planen und gestalten sie Datenlösungen. Dazu sollte der Einsatz von Sensoren bedacht werden und ggf. dessen Code (Steuerungs- und Diagnoseprogramme) verstanden werden. In besonderem Maße bedeutet das, die anspruchsvolle Schnittstelle zwischen Hardware und Software zu beherrschen. Daraufhin müssen Personaler*innen benötigtes Wissen für diese Lösungen in der Belegschaft integrieren, denn ihnen sind Personaldaten von Mitarbeiter*innen hinsichtlich derer Fertigkeiten und Fähigkeiten, Qualifikationen, Kompetenzen am besten bekannt. Sie können diese einschätzen, bewerten und Produkten und Dienstleistungen zuorden. Das Aufgabenprofil rundet ab, dass Geschäftsführung bzw. Werkleitung eine Risikobewertung zur Etablierung eines digitalen Geschäftsmodells durchführen. Sie leiten den Fahrplan ab, wie ein digitales Geschäftsmodell in den betrieblichen Alltag aufgenommen werden könnte.
Ergebnis: Das Aufgabenprofil führt zu Kenntnissen über digitale Wertangebote im eigenen Betrieb und wie Defizite mit Hilfe von digitalen Wertangeboten abgebaut werden können. Das schafft Kundennutzen, indem Datenpotenziale gehoben werden. Wo sinnhaft, schaffen Daten eine fundierte Entscheidungsgrundlage bei Produkt- und Dienstleistungsinnovationen. Digitale Unternehmensprozesse bedeuten immer, die eigene Belegschaft mitzunehmen, dass stärkt die eigene Arbeitgeberattraktivität zusätzlich.
Vertriebsprofil
Vertriebsmitarbeiter*innen setzen digitale Vertriebskanäle ein und Teilen passende Inhalte über digitale Kanäle.
- Vertriebsmitarbeiter*innen sollten:
- digitale Kommunikationswerkzeuge kennen und situationsgerecht einsetzen
- Informationen, Verweise und Daten teilen
Im Aufgabenprofil Vertrieb wirken die Vertriebsmitarbeiter*innen. Sie befüllen die Schnittstellen zwischen Unternehmen und Kund*innen, indem Sie digitale Kommunikationswerkzeuge kennen und situationsgerecht einsetzten. Das bedeutet konkret: Kommunikationstechnologien, deren Grenzen, Datenschutz, Datenethik, Bild- und Textrechte, sowie deren Wirkung zu kennen. Üblicherweise wird dazu ein Mix aus verschiedenen Vertriebskanälen und -formaten eingesetzt, um Produkte und Dienstleistungen des eigenen Betriebs anzubieten. Des Weiteren kommunizieren Vertriebsmitarbeiter:innen mit Kunden, um so Kundenbeziehungen aufzubauen. Sie treffen Maßnahmen zum Aufbau und Pflege dieser Beziehungen, indem Sie Informationen, Verweise und Daten aus dem Unternehmenskontext teilen. Dadurch bauen Sie eine digitale Marke auf. Dadurch kommunizieren Vertriebsmitarbeiter:innen digital mit den Unternehmenskunden.
Ergebnis: Das Aufgabenprofil bietet einem Unternehmen die Möglichkeit, eine digitale Kommunikation und Interaktion mit der Zielgruppe zu führen. Für das Unternehmen können frühzeitig Kundenbedarfe und –bedürfnisse erforscht und bedient werden. Das schafft Kundenbindung im digitalen Raum. Darüber hinaus kann – mit Hilfe von diesem Kompetenzprofil – eine zielgenaue digitale Werbung geschalten werden, um neue Kunden zu gewinnen bzw. neue Akteure im Markt auf das eigenen Unternehmen aufmerksam zu machen.
Fazit: Kompetenzanforderungen im Business Model Canvas bei der Etablierung digitaler Geschäftsmodelle:
Somit wird vorgeschlagen, dass drei Aufgabenprofile dem BMC zugeordnet werden.
Aufgabenprofile im Geschäftsmodell
Die Aufgabenprofile (Basisprofil, Aufbauprofil, Vertriebsprofil) können den Elementen eines Geschäftsmodells zugeordnet werden.
Die beschriebenen Aufgabenprofile geben einen Ausblick, wie digitale Geschäftsmodelle im KMU etabliert werden können und geben Vorschläge, wer für welche Aufgaben prädestiniert sein könnte. Inwieweit die Ist-Aufgabenprofile mit den Soll-Aufgabenprofilen vereinbar sind, muss federführend von profunden Kollegen*innen bestimmt werden, die sich mit Personalfragestellungen im Betrieb beschäftigen. Vermutlich können die BMC „Kompetenzanforderungen digitale Geschäftsmodelle“ mehrheitlich im gewerblich-industriellen Betrieb Anwendung finden.
Sofern im Unternehmen Datenquellen unzureichend genutzt werden und kaum im Fokus stehen, wäre ein erster Schritt, zum (potenziellen) Nutzen (bestehender) Datenlagen aufzuklären. Hierbei gilt es zu analysieren, welche Datenquellen im Unternehmen und in dessen Umfeld vorhanden sind. Gleichzeitig muss geklärt werden, welche Daten für das Unternehmen von Interesse sind. Eine sinnvolle Vorgehensweise ist z. B. eine Checkliste oder einen Datensammelplan für eine Auswahl von Systemen zu Datenerfassung zu erstellen (George 2016).
Entsprechende Leitfragen wären, wie Daten bereitgestellt und nutzbar gemacht werden und mit welchen Prozessen Daten verarbeitet bzw. weiterverarbeitet werden können.
Sofern im Unternehmen Unklarheiten bei der Datenverwendung bestehen, wäre ein nächster Schritt, die Potenziale sowie Ziele des Einsatzes und der Analyse von Daten zu erläutern, ebenso wie über Methodik und Hintergrund der einzelnen Verfahren zu informieren. Es muss Klarheit herrschen, wie Daten sinnvoll eingesetzt werden können, d. h. vor allem: mit welcher Zielstellung können Daten eingesetzt werden, und mit welchen Methoden können Daten ausgewertet werden?
Fallbeispiele aus KMU
Fallbeispiel 1 – Fokus Basisprofil
Verarbeitendes Gewerbe
Neben (a) Maschinendaten, bspw. Stromverbrauch, Temperaturdaten, Öldruck und weiteren Parameter liegen Qualifikationsprofile der Facharbeiter vor. Somit kann der kunststoffverarbeitende Betrieb seine Personaleinsatzplanung anpassen. Weiterhin sind (b) Kundendaten von Relevanz: Auftragsvolumina, Lieferdaten und/oder Bestellhäufigkeiten generieren i.d.R. Kenntnisse über A-Kunden und ermöglichen entsprechende Materialplanungen. Auch (c) Leistungsdaten von externen Personen und Unternehmen sind zu nennen, z.B. Maschinenkapazität beim Werkzeugbaupartner. Weiterhin sind (d) Einnahmequellen bspw. besondere Zahlungsziele für A-Kunden zu nennen.
Fallbeispiel 2 – Fokus Aufbauprofil
Automobilzulieferer
Wichtig ist das Vorhandsein von (a) Tätigkeitsprofilen und (b) Handlungsanweisungen, bspw. in Stellenbeschreibungen und Personalakten. Aber auch Zertifizierungen sowie Arbeitsanweisungen helfen, Ist-Kompetenzen im unternehmerischen Wissensmanagement zu erheben und Soll-Kompetenzen zu definieren. In einem metallverarbeitenden Betrieb verlangt der Kunde in einem Kundenaudit den Nachweis über das Vorhandensein eines Wissensmanagement. Nach Analyse im Betrieb sind ca. 800 Tätigkeiten identifiziert wurden, um entsprechende (c) Produkte und (d) Dienstleistungen anzubieten. Da die Datenanbindung zum Kunden einen neuen Standard erforderte, wurde ein digitaler Prozess aufgesetzt. Nun werden die Soll-Kompetenzen mit den Ist-Kompetenzen abgeglichen und Weiterbildungsbedarfe ausgelöst.
Acharjya, D. P.; Kauser, A. P.: A Survey on Big Data Analytics: Challenges, Open Research Issues and Tools. International Journal of Advanced Computer Science and Applications 7 (2), S. 511-518, 2016.
Bose, Ranjit: Advanced analytics: Opportunities and challenges. Industrial Management & Data Systems 109 (2), S. 155-172, 2009.
Bitkom: Unternehmen tun sich noch schwer mit Künstlicher Intelligenz, 2020. URL: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Unternehmen-tun-sich-noch-schwer-mit-Kuenstlicher-Intelligenz, Stand: 25.05.2021.
Cleve, J.; Lämmel, U.: Data Mining. De Gruyter, Berlin, 2016.
Coleman, S. et al.: How Can SMEs Benefit from Big data? Challenges and a Path Forward. Quality and Reliability Engineering International 32, S. 2151-2164, 2016.
Fritsch, M.; Krotova, A.: Der Weg zu datengetriebenen Geschäftsmodellen – Eine modellbasierte Analyse. DEMAND-Gutachten, Köln, 2020.
George, M. L. et.al.: Das Lean Six Sigma Toolbook. Mehr als 100 Werkzeuge zur Verbesserung der Prozessgeschwindigkeit und -qualität. Vahlen, München, 2016.
Osterwalder, A.; Pigneur, Y.: Business Model Generation: Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer. Campus Verlag, 2011.