Wissenspool-Beitrag

Automatisierungs- und Substituierbarkeitspotenziale der Digitalisierung

Globale und regionale Perspektiven
14.06.2021
Lesezeit: ca. 32 min

von Tim André

Auch wenn die Angst vor technologischer Arbeitslosigkeit in der öffentlichen Debatte verbreitet ist, steht den industrialisierten Gesellschaften keineswegs das Ende der Arbeit bevor. Auch in Zukunft wird der Mensch Maschinen in vielen Feldern weiterhin überlegen sein. Nichtsdestotrotz werden in den kommenden Jahrzehnten eine Vielzahl von Tätigkeiten automatisiert werden.

Die Automatisierungs- und Substituierbarkeitsrisiken von Beschäftigten unterscheiden sich je nach regionaler Wirtschafts- und Qualifikationsstruktur erheblich. Entscheidend ist allerdings nicht nur, in welcher Branche die Beschäftigten tätig sind, sondern auch was sie dort konkret tun. Darüber hinaus spielt die gewählte Betrachtungsebene eine wichtige Rolle. Je weiter die Daten disaggregiert werden, desto geringer sind tendenziell die gefundenen Automatisierungsrisiken.

Generell gilt, dass sich aus den geschätzten Automatisierungspotenzialen keine unmittelbaren Arbeitsmarktentwicklungen ableiten lassen. Nicht jedes Potenzial wird auch ausgeschöpft werden. Neben rechtlichen und ethischen Fragen spielen vor allem betriebswirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Automatisiert wird in der Regel nur, wenn es sich für die Unternehmen lohnt. Für Beschäftigte gilt jedoch: eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung wird zukünftig wichtiger denn je, denn nur so kann Beschäftigungsfähigkeit auch in Zeiten des kontinuierlichen technologischen Wandels sichergestellt werden.

Einleitung

Die Angst, dass technologische Neuerungen Arbeitsplätze vernichten, ist nicht neu. Schon während der Industriellen Revolution existierten Befürchtungen, dass neue Maschinen Massenarbeitslosigkeit hervorrufen würden (Mokyr et al. 2015). In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts äußerte John Maynard Keynes Zweifel, ob die Menschen in der Lage sein würden, neue Beschäftigung für diejenigen zu erdenken, die durch technologische Entwicklungen arbeitslos würden (Keynes 1932). Auch DER SPIEGEL thematisierte technologische Massenarbeitslosigkeit in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt, zuletzt im Jahr 2016 (DER SPIEGEL).

Die Angst vor technologischer Arbeitslosigkeit ist nicht neu. Bislang hat der technische Fortschritt jedoch nicht zu weitverbreiteter Arbeitslosigkeit geführt.

Bislang haben technologische Innovationen jedoch nicht zu einem Rückgang der Beschäftigung geführt. In vielen Ländern der Welt sind trotz anhaltendem technologischem Fortschritt heute mehr Menschen beschäftigt als jemals zuvor und auch Deutschland eilte vor Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie von Beschäftigungsrekord zu Beschäftigungsrekord. Das „Ende der Arbeit“ (Rifkin 1995) ist also trotz tiefgreifender technologischer Veränderungen bisher nicht eingetreten.

Das Thema technologische Massenarbeitslosigkeit beschäftigt die Gesellschaft jedoch weiter. Besonders die Fortschritte in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik befeuern die Angst vor Automatisierung einer Vielzahl von Arbeitsplätzen.

Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die jüngste Debatte zum Thema Automatisierung und Substituierbarkeit von Beschäftigung. Er beleuchtet zunächst die einflussreiche Studie von Carl B. Frey und Michael A. Osborne aus dem Jahr 2013 und ihre Übertragung auf Deutschland. Darüber hinaus widmet er sich der Forschung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das mit seinen Analysen die Debatte in Deutschland geprägt hat.

Frey und Osborne halten die Welt in Atem

Den Beginn der aktuellen öffentlichen und akademischen Debatte markiert ein Working Paper von Carl B. Frey und Michael A. Osborne aus dem Jahr 2013 mit dem Titel The Future of Employment: How Susceptible Are Jobs to Computerisation?.

Den Ausgangspunkt der Autoren bilden die rapiden Entwicklungen im Bereich der KI in den vergangenen Jahren, die durch Fortschritte bei Prozessorleistung, Speicherkapazitäten und die immer stärkere Verbreitung von riesigen Datensätzen (Big Data) möglich wurden. Durch Maschinelles Lernen und Maschinelle Robotik können inzwischen eine Reihe von vormals nicht automatisierbaren Tätigkeiten durch Maschinen ausgeführt werden. Als Beispiele nennen die Autoren unter anderem autonome Fahrzeuge oder die Tumor-Erkennung mithilfe von KI. Der weitere Fortschritt dieser Entwicklung hängt nach Auffassung von Frey und Osborne maßgeblich davon ab, ob es gelingen wird, sogenannte bottlenecks zu überwinden, die bis dato einer Automatisierung im Weg stehen (Frey und Osborne 2017).

Carl B. Frey und Michael A. Osborne lieferten mir ihrer Studie über Automatisierungspotenziale amerikanischer Beschäftigter den Anstoß für eine intensive akademische Debatte zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt.

Bei diesen bottlenecks handelt es sich um Tätigkeitsbereiche, für die bislang keine technologischen Lösungen existieren, um sie einer Maschine oder einem Computerprogramm zu übertragen. Auch in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren wird der Mensch nach Auffassung von Frey und Osborne Maschinen in den Bereichen Wahrnehmung und Feinmotorik (perception and manipulation), kreativer Intelligenz (creative intelligence) und sozialer Intelligenz (social intelligence) überlegen sein (Frey und Osborne 2017). Eine Übersicht über Tätigkeiten aus diesen Bereichen befindet sich in Tabelle 1.

Tabelle 1: Bottleneck-Variablen nach Frey und Osborne (2017)
bottleneck Entsprechung in der O*NET-Datenbank Beschreibung
Wahrnehmung und Feinmotorik Fingerfertigkeit Die Fähigkeit, mit den Fingern einer oder beider Hände präzise koordinierte Bewegungen auszuführen, um sehr kleine Objekte zu greifen, zu manipulieren oder zusammenzubauen.
manuelle Geschicklichkeit Die Fähigkeit, die Hand schnell zu bewegen, die Hand zusammen mit dem Arm zu bewegen oder beide Hände schnell zu bewegen, um Objekte zu greifen, zu manipulieren oder zusammenzubauen.
beengter Arbeitsbereich, unangenehme Positionen Wie oft erfordert dieser Job Arbeiten in beengten Arbeitsräumen, die das Einnehmen unangenehmer Positionen erfordern?
kreative Intelligenz Originalität Die Fähigkeit, zu einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Situation ungewöhnliche oder clevere Ideen zu entwickeln oder kreative Lösungswege zu entwickeln.
bildende Kunst Kenntnisse in Theorie und Techniken, die erforderlich sind, um Werke der Musik, des Tanzes, der bildenden Kunst, des Schauspiels und der Skulptur zu komponieren, zu produzieren und aufzuführen.
soziale Intelligenz soziale Wahrnehmung Sich der Reaktionen anderer bewusst sein und verstehen, warum sie so reagieren, wie sie es tun.
Verhandlung Andere zusammenbringen und versuchen, Unterschiede zu versöhnen.
Überzeugung Andere davon überzeugen, ihre Meinung oder ihr Verhalten zu ändern.
Hilfe und Fürsorge für andere Bereitstellung von persönlicher Hilfe, medizinischer Betreuung, emotionaler Unterstützung oder anderer persönlicher Betreuung für andere wie Mitarbeiter*innen, Kund*innen oder Patient*innen.

Mithilfe eines statistischen Modells weisen die Autoren den Berufen in den USA Automatisierbarkeitswahrscheinlichkeit zu. Die Datengrundlage bildet die sogenannte O*NET-Datenbank, die für jeden Beruf detaillierte Beschreibungen zu den darin ausgeführten Tätigkeiten enthält. Insgesamt neun aller in der Datenbank aufgeführten Tätigkeiten ordnen Frey und Osborne einem der drei bottleneck-Bereiche zu, die für die Frage der Automatisierbarkeit relevant sind (vgl. Tabelle 1). Um die Auswirkungen auf die Beschäftigung schätzen zu können, verknüpfen die Autoren die errechneten Wahrscheinlichkeiten mit Beschäftigungsstatistiken der USA (Frey und Osborne 2017).

Knapp die Hälfte der amerikanischen Beschäftigten war im Jahr 2010 in Berufen beschäftigt, die in den kommenden zwei Jahrzehnten einem hohen Substituierungsrisiko unterliegen.

Abbildung 1 fasst die Berechnungen zusammen. Frey und Osborne kommen zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2010 insgesamt 47 % der Beschäftigten in den USA in Berufen tätig waren, die einem hohen Automatisierbarkeitsrisiko unterliegen. Das Modell berechnete für diese Berufe eine Automatisierbarkeitswahrscheinlichkeit von mehr als 70%. Weitere 19% der Beschäftigten arbeiteten in Berufen mit einem mittleren Risiko (30% bis 70%) und 33% in einem Beruf mit einer geringen Wahrscheinlichkeit von weniger als 30 % (Frey und Osborne 2017).

Abbildung 1: Verteilung der Risiko-Berufe nach Frey und Osborne (2017)

frey2017

Besonders Berufe in den Bereichen Transport und Logistik, unterstützenden Büro- und Verwaltungstätigkeiten sowie in bestimmten Dienstleistungs- und Handelsberufen und im Baugewerbe unterliegen hohen Automatisierbarkeitswahrscheinlichkeiten. In Abbildung 2 wird darüber hinaus deutlich, dass es im Modell einen Zusammenhang zwischen der Substituierbarkeitswahrscheinlichkeit und dem Lohn- bzw. Ausbildungsniveau der Beschäftigten gibt. Je höher der Durchschnittslohn eines Berufes und je höher der Anteil Beschäftigter mit Hochschulabschlüssen, desto geringer ist in der Regel das Automatisierungsrisiko (Frey und Osborne 2017).

Abbildung 2: Substituierungsrisiko in Abhängigkeit von Ausbildungs- und Lohnniveau (Frey und Osborne 2017)

frey2017b

Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse in Abbildung 1 als eine Art Zeitstrahl, der von rechts nach links gelesen wird. In anderen Worten: kurzfristig ist fast die Hälfte aller Beschäftigten in den USA von Automatisierung bedroht. Nach einem Plateau, in dem zunächst weitere technologische bottlenecks beseitigt werden müssen, sind die Beschäftigten im mittleren Risikobereich betroffen. Im Anschluss bedroht die Automatisierung auch jene Beschäftigten, für die das Modell niedrige Automatisierbarkeitswahrscheinlichkeiten prognostiziert (Frey und Osborne 2017).

Auch für Deutschland fanden Forscher*innen hohe Substituierungspotenziale. Die Ergebnisse ändern sich jedoch grundlegend, sobald man einzelne Jobs statt ganzer Berufsgruppen betrachtet.

Die Studie der beiden Autoren bildete den Ausgangspunkt für eine Flut von Veröffentlichungen, die sich den Themen Digitalisierung, Automatisierung und Beschäftigungsentwicklung widmeten. Bis heute wurde der Artikel von Frey und Osborne über 8.000-mal zitiert.Bonin et al. (2015) übertragen in ihrer Studie die Methodik von Frey und Osborne (2017) auf den Arbeitsmarkt in Deutschland. Die Autor*innen kommen zum Ergebnis, dass 42 % aller Beschäftigten in Deutschland in Berufen mit einem Automatisierungsrisiko von mehr als 70 % arbeiten. Im Allgemeinen unterscheiden sich ihre Resultate nicht grundlegend von jenen der Ausgangsstudie, auch wenn sie für Deutschland weniger Personen in Berufen mit sehr hohen Automatisierungswahrscheinlichkeiten (> 90 %) und mehr in solchen Berufen mit sehr geringen Automatisierungswahrscheinlichkeiten (< 10 %) finden.

Ein maßgeblicher Kritikpunkt der Studie von Frey und Osborne (2017) war die Wahl der Untersuchungsebene. Nicht Berufe sind von Automatisierung betroffen, sondern die Tätigkeiten, die Beschäftigte innerhalb dieser Berufe ausführen. Der Fokus auf die Berufsebene vernachlässigt, dass Beschäftigte nicht alle Tätigkeiten in gleichem Ausmaß ausüben und dass Beschäftigte sich zum Teil auf einzelne, nur sehr schwer automatisierbare Tätigkeiten spezialisieren.

Bonin et al. (2015) greifen diese Kritik auf und erweitern das ursprüngliche Modell um einen tätigkeitsbasierten Ansatz auf Job-Ebene. Durch den Wechsel der Betrachtungsebene verändern sich die Ergebnisse gravierend. In Deutschland sind nach den Berechnungen der Autor*innen nur 12% aller Beschäftigten mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von Automatisierung bedroht. Gleichzeitig nehmen die Automatisierungswahrscheinlichkeiten im tätigkeitsbasierten Ansatz häufiger mittlere Werte an. Allerdings bestätigt sich auch im tätigkeitsbasierten Ansatz der Zusammenhang zwischen Qualifikationsniveau bzw. Einkommen und Automatisierbarkeitswahrscheinlichkeit: je höher der berufliche Abschluss bzw. je höher das Einkommen, desto geringer fällt letztere aus.

Arntz et al. (2016) weiten den tätigkeitsbasierten Ansatz auf alle OECD-Länder aus und kommen zu sehr ähnlichen Ergebnissen wie Bonin et al. (2015). Der Anteil der Beschäftigten, mit einem Automatisierbarkeitsrisiko von mehr als 70% variiert zwischen 6% in Südkorea und Estland und 12% in Deutschland und Österreich. In den USA sind 9% aller Beschäftigten von einem hohen Automatisierungsrisiko betroffen.

Von Hauptquartieren und verlängerten Werkbänken

Die Ansätze von Bonin et al. (2015) und Arntz et al. (2016) berücksichtigen den vielmals vorgebrachten Kritikpunkt, dass nicht Berufe, sondern Tätigkeiten automatisiert werden können. Allerdings beziehen sich die geschätzten Automatisierbarkeitswahrscheinlichkeiten immer auf einen unbestimmten Zeitraum in der Zukunft. Sie geben somit keinen Aufschluss über das momentane Risiko für Beschäftigte. Um die Methodik von Frey und Osborne (2017) auf Deutschland übertragen zu können, müssen darüber hinaus starke Annahmen in Bezug auf die Tätigkeitsstrukturen in den USA und Deutschland getroffen werden. Strukturelle Unterschiede in den Aus- und Weiterbildungssystemen sowie der Berufsbilder in beiden Ländern bleiben zwangsläufig unberücksichtigt. Auch lassen sich nicht alle in den USA zu findenden Berufe ohne Weiteres auf Deutschland übertragen.

In Deutschland gibt es deutliche regionale Unterschiede zwischen den Substituierungspotenzialen. Die Substituierungsrisiken folgen keinem Ost-West-Schema, sondern sind die Folge der regionalen Wirtschafts- und Qualifizierungsstruktur.

Dengler und Matthes (2015) greifen beide Kritikpunkte auf und entwickeln ein Modell, das sowohl aktuelle Automatisierbarkeitswahrscheinlichkeiten in den Blick nimmt als auch die spezifischen Tätigkeitsprofile deutscher Berufe zur Grundlage hat. Auf Basis aller etwa 6.700 im BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit (BA) aufgeführten Tätigkeiten berechnen sie für jeden Einzelberuf das aktuelle Automatisierungsrisiko.2

Nach Berechnungen der Autorinnen lag der Anteil der Beschäftigten in Berufen mit einem hohen Substituierbarkeitspotenzial im Jahr 2016 deutschlandweit bei gut 25 % (Dengler et al. 2018). Im Vergleich zum Jahr 2013 bedeutete dies einen Anstieg um zehn Prozentpunkte (Dengler und Matthes 2015). Allerdings unterschiedenen sich die Potenziale zwischen den Bundesländern teils erheblich.

Abbildung 3a) zeigt die regionalen Unterschiede des Anteils der Beschäftigten mit einem hohen Substituierbarkeitsrisiko von mehr als 70%. Vergleichsweise hohe Anteile wiesen im Jahr 2016 das Saarland (30%), Thüringen (29%) und Baden-Württemberg (28%) auf. In Berlin (15%), Hamburg (18%) und Mecklenburg-Vorpommern (19 %) lagen die Anteile dagegen deutlich niedriger. Die Abbildung zeigt, dass die unterschiedlichen Substituierbarkeitsrisiken keinem Ost-West-Schema folgen. Vielmehr werden sie von der Branchen-, Berufs- und Qualifikationsstruktur der Beschäftigten bestimmt.

Abbildung 3: Beschäftigtenanteile nach ausgewählten Merkmalen und Substituierungspotenziale auf Bundeslandebene

Abbildungen 3b) und 3c) zeigen die Anteile Beschäftiger in Fertigungsberufen und fertigungstechnischen Berufen sowie den Anteil Beschäftigter auf Spezialisten- und Expertenniveau. Es wird deutlich, dass die Berufs- und Qualifikationsstrukturen der Bundesländer die Substituierbarkeitspotenziale maßgeblich bestimmen. Entscheidend ist nicht bloß, in welchen Branchen und Berufen die Menschen arbeiten, sondern auch was genau sie dort tun. Beschäftigte in Fertigungsberufen oder fertigungstechnischen Berufen auf Spezialisten- oder Expertenebene verzeichnen z. B. gänzlich unterschiedliche Substituierbarkeitspotenziale als ihre Kolleg*innen auf Helfer- oder Fachkraftniveau.

Vor dem Hintergrund der strukturell teils sehr verschiedenen Wertschöpfungsketten in Ost und West könnte dies die Entwicklungen in den beiden Landesteilen zukünftig sehr unterschiedlich beeinflussen. Während Beschäftigte in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen an den westdeutschen Firmenzentralen absehbar wenig von Automatisierung betroffen sein werden, könnte sich der technologische Fortschritt an den „verlängerten Werkbänken“ Ostdeutschlands deutlich stärker bemerkbar machen. Es gilt also, auch im Osten der Republik die Wertschöpfungstiefe bestehender Wertschöpfungsketten zu erhöhen oder gänzlich neue Bereiche zu erschließen.

Besonders Beschäftigte in Fertigungsberufen und fertigungstechnischen Berufen unterliegen einen hohen Substituierungsrisiko. Entscheidend ist allerdings nicht nur, welchem Beruf die Beschäftigten nachgehen, sondern auch welches Anforderungsniveau diese Berufe besitzen.

Ausblick

Die vorgestellten Studien verdeutlichen die komplexen Zusammenhänge zwischen technologischem Fortschritt und Beschäftigung. Auch die digitale Transformation wird nicht das Ende der Arbeit bedeuten. Allerdings wird die fortschreitende Digitalisierung im 21. Jahrhundert einen tiefgreifenden strukturellen Wandel hervorrufen.

Durch die rasanten Fortschritte auf den Feldern Künstliche Intelligenz und Robotik können bereits heute eine Vielzahl Tätigkeiten automatisiert werden. Allerdings übersetzen sich die Automatisierungspotenziale von Berufen oder Tätigkeiten nicht automatisch und eins zu eins in tatsächliche Automatisierung. Neben ethischen und rechtlichen Aspekten spielen vor allem betriebswirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Prozesse werden in der Regel nur dann automatisiert, wenn sich daraus Kosteneinsparungen oder Produktivitätsgewinne für die Unternehmen ergeben.

Auch in Zukunft wird der Mensch der Maschine in vielen Feldern überlegen sein. Dies ist vor allem bei analytischen und interaktiven Tätigkeiten der Fall sowie bei Tätigkeiten, die soziale und kreative Intelligenz voraussetzen. Viele Berufsbilder werden sich in den kommenden Jahren verändern, sodass Beschäftigte immer mehr Arbeitszeit auf diese Tätigkeitsbereiche verwenden. Der Großteil der Berufe wird nicht verschwinden, er wird sich wandeln.

Nichtsdestotrotz wird die Digitalisierung das Aus für einige Berufe bedeuten. Allerdings werden auch in Zukunft wieder neue Berufe entstehen und Beschäftigungsperspektiven bieten. Die Prognosen deuten darauf hin, dass sich Gewinne und Verluste infolge der Digitalisierung in etwa die Waage halten werden. Für manche Beschäftigte wird das Verschwinden ihres Berufsbildes jedoch zwangsläufig einen Wechsel in andere Beschäftigungssektoren bedeuten.

In Zukunft wird kontinuierliche Fort- und Weiterbildung noch entscheidender für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen und die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter*innen. Nur auf diesem Wege können Beschäftigte neue, notwendige Kompetenzen erwerben und Unternehmen im Wettbewerb um Fachkräfte bestehen. Um alle Potenziale auszuschöpfen, muss auch die Nach- und Weiterqualifizierung von Beschäftigten ohne beruflichen Abschluss und von älteren Beschäftigten stärker in den Blick genommen werden.

Referenzen

  • Arntz, Melanie, Terry Gregory und Ulrich Zierahn. 2016. The Risk of Automation for Jobs in OECD Countries: A Comparative Analysis. OECD Social, Employment and Migration Working Papers No. 189. Organisation for Economic Co-operation und Development (OECD).
  • Bonin, Holger, Terry Gregory und Ulrich Zierahn. 2015. Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland. Kurzexpertise 57. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
  • Dengler, Katharina, und Britta Matthes. 2015. Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt: Substituierbarkeitspotenziale von Berufen in Deutschland. IAB-Forschungsbericht 11/2015. Nürnberg.
  • Dengler, Katharina, Britta Matthes und Wiebke Paulus. 2014. „Berufliche Tasks auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Eine alternative Messung auf Basis einer Expertendatenbank“. FDZ Methodenreport 12/2014, Nrn. 12/2014.
  • Dengler, Katharina, Britta Matthes und Gabriele Wydra-Somaggio. 2018. Digitalisierung in den Bundesländern: Regionale Branchen- und Berufsstrukturen prägen die Substituierbarkeitspotenziale. IAB- Kurzbericht 22/2018. Nürnberg.
  • DER SPIEGEL. Titelbilder und Heftarchive. www.spiegel.de/spiegel/print.
  • Frey, Carl Benedikt, und Michael A. Osborne. 2017. „The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation?“ Technological Forecasting and Social Change 114:254–280.
  • Keynes, John Mainard. 1932. „Economic Possibilities for our Grandchildren (1930)“. In Essays in Persuation, 358–373. New York: Harcourt Brace.
  • Mokyr, Joel, Chris Vickers und Nicolas L. Ziebarth. 2015. „The History of Technological Anxiety and the Future of Economic Growth: Is This Time Different?“ Journal of Economic Perspectives 29 (3): 31–50.
  • Rifkin, Jeremy. 1995. The End of Work. G. P. Putnam’s Sons.

Weiterführende Literatur

  • Bogai, Dieter; Wiethölter, Doris; Buch, Tanja; Dengler, Katharina (2017). Digitalisierung der Arbeit. Abschätzung der Automatisierungspotenziale von Berufen in Berlin und Brandenburg. IAB-Regional. IAB Berlin-Brandenburg, 02/2017.
  • Buch, Tanja; Stöckmann, Andrea (2018). Entwicklung der Substituierbarkeitspotenziale auf dem Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern. Aktuelle Ergebnisse auf Basis einer Neubewertung der Substituierbarkeit von beruflichen Kerntätigkeiten. IAB-Regional. IAB Nord, 02/2018.
  • Kaltenborn, Bruno. 2019. Auswirkungen der Digitalisierung auf die Erwerbstätigkeit in Deutschland: Literaturstudie. Working Paper Forschungsförderung 157. Düsseldorf.
  • Kropp, Per; Theuer, Stefan; Fritzsche, Birgit. 2018. Immer mehr Tätigkeiten werden durch Digitalisierung ersetzbar. Aktualisierte Substituierbarkeitspotenziale in Sachsen-Anhalt. IAB Sachsen-Anhalt-Thüringen, 01/2018. 
  • Kropp, Per; Theuer, Stefan; Fritzsche, Birgit. 2018. Immer mehr Tätigkeiten werden durch Digitalisierung ersetzbar. Aktualisierte Substituierbarkeitspotenziale in Thüringen. IAB Sachsen-Anhalt-Thüringen, 02/2018.
  • Laukhuf, Andrea, Benedikt Runschke, Sabrina Spies und Daniel Stohr. 2019. Beschäftigungseffekte der Digitalisierung in Branchen: Ein Literaturüberblick. Working Paper Forschungsförderung 162. Düsseldorf.
  • Schork, Franziska; Zillmann, Manja. 2018. Digitalisierung der Arbeitswelt. Entwicklung für den Arbeitsmarkt in Sachsen auf Basis einer Neubewertung des Substituierbarkeitspotenzials. IAB Sachsen, 04/2018.

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Autor
Dr. Felix Erler

Leiter des Zentrums digitale Arbeit

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