Wissenspool-Beitrag

Bedarfe von KMU im digitalen Wandel

Ein (Aus-)Blick in die Projektlandschaft auf Basis einer Metaanalyse der ESF-Programme unternehmensWert:Mensch plus, Zukunftszentren sowie dem Programm Mittelstand 4.0
11.06.2021
Lesezeit: ca. 19 min

Um kleine und mittelgroße Unternehmen optimal und regionalspezifisch unterstützen zu können, ist es wichtig, deren Bedarfe in Bezug auf Digitalisierungsaktivitäten zu kennen. Dazu wird in diesem Beitrag eine Metaanalyse des ESF-Programms unternehmensWert:Mensch als Basis für einen vergleichenden Blick auf zwei weitere Projekte, die sich der Unterstützung von KMU im digitalen (Arbeits-)Wandel verschrieben haben, genutzt. Zum einen geht es um Ergebnisse einer Studie zur Ermittlung von Bedarfen von KMU der Mittelstand 4.0: Agentur Kommunikation und zum anderen um die ersten Ergebnisse der Beratungsaktivitäten aus dem Programm Zukunftszentren.

 

In einer Metaanalyse der drei uWM-Erstberatungsstellen in Sachsen: ATB Arbeit, Technik und Bildung gGmbH, Arbeit und Leben Sachsen e.V. und RKW Sachsen GmbH wurden die Erstberatungs- und Abschlussprotokolle von 71 Unternehmen aus den Jahren 2017-2020 qualitativ ausgewertet. In diesem Artikel werden die Ergebnisse dieser Metaanalyse erläutert und in die Erkenntnisse der Programme Mittelstand 4.0 und Zukunftszentren eingebettet.

Das Programm “unternehmensWert:Mensch (uWM)”

Das Programm “unternehmensWert:Mensch (uWM)” wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert. Es unterstützt Unternehmen niedrigschwellig und individuell bei der Gestaltung einer zukunftsgerechten Personalpolitik. Unter Beteiligung der Beschäftigten werden mit professioneller Prozessberatung nachhaltige Veränderungen angestoßen.

Die Ziele des geförderten Beratungsprogramms bestehen darin:

  • kleine und mittlere Unternehmen für zukünftige Herausforderungen zu sensibilisieren,
  • den Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung einer mitarbeiterorientierten Personalpolitik konkrete Unterstützung zu bieten,
  • kleine und mittlere Unternehmen zu befähigen, auf die vielfältigen betrieblichen Herausforderungen, die die Veränderungen der Arbeits- und Produktionswelt sowie der demografische Wandel mit sich bringen, eigenständig angemessen zu reagieren,
  • in den Unternehmen eine Unternehmenskultur zu etablieren, die zur motivations-, gesundheits- und innovationsförderlichen Gestaltung der Arbeits- und Produktionsbedingungen wie auch zur Fachkräftegewinnung und -bindung beiträgt sowie
  • im Programmzweig “unternehmensWert:Mensch plus (uWM plus)” betriebliche Lern- und Experimentierräume zur Lösungsentwicklung für die digitale Transformation zu fördern.

Um diese Ziele zu erreichen, setzen “unternehmensWert:Mensch” und “unternehmensWert:Mensch plus” auf professionelle Prozessberatung unter Beteiligung der Beschäftigten.

Gestaltungsfelder im Programm uWMplus

WMplus_Gestaltungsfelder

Methodik der Metaanalyse

Die Analyse wurde in Anlehnung an die Methode der Grounded Theory durchgeführt, deren Forschungsprogramm die induktive Theorie- oder auch Typenbildung aus dem Material heraus zum Ziel hat. Dieses Ziel wird durch eine immer weiter fortschreitende Verdichtung des Materials erreicht (Vgl. Heiser 2016: 5ff). Dafür wird im Drei-Schritt das offene, das axiale wie auch das selektive Kodieren angewendet. Im ersten Schritt werden relativ ungefiltert Aussagen markiert, die mit dem Erkenntnisinteresse in Zusammenhang stehen, wie genau muss hier noch nicht determiniert sein. Dieser Prozess des Kodierens kann auch als erster thematischer Überblick des Materials betrachtet werden. Im zweiten Schritt des axialen Kodierens werden diese Kategorien hierarchisch und inhaltlich verbunden, bevor sie zuletzt selektiv codiert werden. Das bedeutet, dass einige, wenige Codes ausgewählt werden, die zur Kategorisierung der Inhalte aus den Erstberatungs- und Abschlussprotokollen beitragen.

Somit werden die meistgenannten Kategorien in Anlehnung an die Gestaltungsfelder des uWMplus-Programms herausgefiltert. Durch die strategischen Überlegungen zu diesen beiden Schritten, sind die Schritte des axialen sowie selektiven Kodierens zusammengelegt worden. Während in Abbildung 1 die vorgegebenen Gestaltungsfelder aus dem Programmzweig unternehmensWert:Mensch plus zu sehen sind, wurden diese in Abbildung 2 mit den herausgearbeiteten Kategorien aus den Protokollen verbunden.


Die Leitidee des Kodierprozesses ist die Methode des stän-digen Vergleichens (»constant comparative method«) der Daten miteinander. (Strübing, 2004)

Bedarfe der teilnehmenden Unternehmen
Bedarfe_von_KMU_uWMplus_Metaanalyse.png

Ergebnisse der Metaanalyse

Für diese Metaanalyse wurden die Beratungsprotokolle von 71 uWMplus-Unternehmensprojekten der drei sächsischen uWM-Erstberatungsstellen im Zeitraum 2017-2020 ausgewertet. Knapp 30% dieser 71 Unternehmen ordnen sich in Bezug auf die Branchenzugehörigkeit den sonstigen nicht spezifizierten Dienstleistungen zu. Mit knapp einem Viertel der Unternehmen ist auch das Gesundheit- und Sozialwesen zahlreich vertreten. Die am stärksten adressierten Handlungsfelder in den Beratungsprotokollen des uWMplus-Programmzweigs ziehen sich mit den Themen Produktionsmodell und Arbeitsorganisation sowie Personalpolitik, Beschäftigung und Qualifizierung immer in Beziehung zur Digitalisierung der Arbeit stringent durch die Auswertung der Praxiserfahrungen.

In der folgenden Grafik ist die Verteilung der Handlungsfelder zu sehen. In den Beratungsprotokollen waren Mehrfachnennungen der Handlungsfelder möglich, aber eindeutig wurde das Handlungsfeld Produktionsmodell und Arbeitsorganisation am häufigsten genannt. Wobei mit Blick auf die kodierten Bedarfe der Unternehmen der Schwerpunkt in diesem Handlungsfeld klar auf der Arbeitsorganisation liegt, wie in Abbildung 2 zu sehen ist. Die Tabelle in Abbildung 2 zeigt an, welche Bedarfe und Prozess-Ziele sich bei den Unternehmen aus der Metaanalyse ergeben haben. Wie aus der Abbildung deutlich hervorgeht, liegt der Schwerpunkt auf weichen Faktoren wie Partizipation und Beteiligung, neuen Führungskonzepten, Wissensmanagement oder erhöhter Flexibilität. Die technischen Faktoren wie die Einführung neuer Tools oder Software sowie Datenschutz-Bestimmungen nehmen einen deutlich geringeren Umfang ein.

Und während innerhalb der Arbeitsphasen zeitweise mehr Personal und Zeit für einzelne Prozesse gebraucht wurde und es auch zu erhöhtem Stress kam, überwiegen schlussendlich die positiven Lerneffekte für die Unternehmen. Methodisch wird die Begleitung von Unternehmen durch die Prozessberater*innen als nachhaltig und effektiv bewertet. In den beteiligten Betrieben wurde in folgenden Bereichen deutliche Verbesserungen festgestellt:

  • Interne und externe Kommunikation
  • Motivation/Beteiligung der Mitarbeitenden
  • Unternehmenskultur/Betriebsklima
  • Mehrwert des Betrieblichen Gesundheitsmanagements
  • Akzeptanz von digitalen Werkzeugen
  • Effizienz der Arbeitsabläufe

Dieses positive Fazit bestätigen auch die beteiligten Unternehmen in anschaulichen Berichten zum Ablauf der Prozessberatung.

“In diesem Kontext [in der Gestaltung des Transformationsprozesses zur Industrie 4.0] existiert bereits eine Vielzahl an Leitfäden, Handlungsempfehlungen und Reifegradmodellen, um KMU im Umfeld von Digitalisierung und Industrie 4.0 zu unterstützen. Diese Ansätze sind zumeist sehr generisch und auf die technischen Aspekte der Digitalisierung fokussiert. Organisations- und Personalthemen stehen weniger im Fokus, obwohl diese ebenfalls einen essentiellen Teil der Entwicklung auf dem Weg zu Industrie 4.0 ausmachen (Hirsch Kreinsen/Weyer 2014).” (Leineweber, Wienbuch & Kuhlenkötter, 2018)

Weiterführende Inhalte

Regionale Analyse aus Ostdeutschland: Identifizierung von Zukunftsthemen in KMU von Mecklenburg-Vorpommern und Ableitung von Unterstützungsbedarfen

Akzeptanz von digitalen Werkzeugen: Studie aus Sachsen zur Kompetenzentwicklung von Beschäftigten 

Verteilung der Handlungsfelder
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Verteilung der Handlungsfelder (Mehrfachnennungen waren möglich)

Einrahmung der Metaanalyse

Die Ergebnisse aus der Metaanalyse des unternehmensWert:Mensch plus-Programmzweigs werden durch Studien und Ergebnisse aus den verwandten Programmen Mittelstad 4.0 und Zukunftszentren bestätigt. Während die Erkenntnisse durch die Mittelstand 4.0-Agentur Kommunikation mithilfe einer Befragung von Führungskräften im Jahr 2016 entstanden sind, zieht das Programm Zukunftszentren die Informationen genau wie uWMplus aus den Beratungsleistungen der Projektpartner von Oktober 2020 – März 2021. Alle Programme haben gemeinsam, dass sie sich hauptsächlich auf kleine und mittelgroße Unternehmen, also den Mittelstand Deutschlands, konzentrieren.

Vor allem KMU aus der Dienstleistungsbranche nehmen Beratungsleistungen zu den Themen Digitalisierung, Arbeitsorganisation und der Vernetzung von Wertschöpfungsketten an, bzw. zeigen ein großes Interesse an Informationen dazu. Die Überschneidungen der Erkenntnisse lassen sich ebenfalls in den Handlungs- oder Gestaltungsfeldern in den Programmen uWMplus und Zukunftszentren erkennen. In beiden Programmen nennen Unternehmen und Berater*innen Themen der Arbeitsorganisation sowie der Personalpolitik als wichtige Ziele für den weiteren Prozess. Ein größerer Unterschied lässt sich allerdings in der Positionierung der Neuen Geschäftsmodelle und Innovationsstrategien finden. Während dieses Handlungsfeld bei uWMplus eher selten genannt wurde, ist es im Programm Zukunftszentren am häufigsten angegeben worden. Ein Grund dafür könnten die unterschiedlichen Schwerpunkte der Programme sein: uWMplus mit dem Schwerpunkt auf Personalpolitik und Zukunftszentren mit dem Schwerpunkt auf Beratungen zur Digitalisierung.

Und auch mit Blick auf die erhobenen Bedarfe der Unternehmen lassen sich einige Überschneidungen finden. „Neue Chancen bei der Marktteilnahme, besonders für den Mittelstand, werden bei über 70 Prozent der Befragten als Folge der Digitalisierung genannt. Die Befragten nennen dabei ein effizienteres und wirtschaftlicheres Arbeiten oder die Schaffung von flexiblen Arbeitsmöglichkeiten und Gleitzeitmodellen. Weitere Chancen werden in der nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit und der Teilnahme an überregionalen und globalen Märkten gesehen (65 Prozent).“ (Mittelstand 4.0 – Agentur Kommunikation, 2016).

Aus dem obigen Zitat und mit Blick auf Abbildung 2 werden Überschneidungen in den Themen zur Flexibilität, Internationalisierung oder der Digitalisierung von manuellen Prozessen/effizienteres Arbeiten sichtbar. Einer der erhobenen Bedarfe lässt sich allerdings in allen drei Programmen deutlich erkennen: innovative Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Damit und dem Wissen, dass alle drei Programme Unternehmen mit einem gemeinsamen Ziel, aber unterschiedlichen Stärken und Schwerpunkten unterstützen, soll dieser Beitrag abgeschlossen werden

KMU haben viele Möglichkeiten, sich digital zu wandeln. Dabei müssen sie nicht immer das Rad neu erfinden. Sie sollten nur ihren Unternehmergeist wecken und im Blick haben, was sie brauchen, was es schon gibt und was sich kombinieren ließe. Dazu benötigen sie wenige Ressourcen, nur etwas Kreativität und eine Portion Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen. Kleine, schrittweise Verbesserungen und strategische Allianzen helfen, die wirtschaftliche Ertragskraft zu sichern – und den Weg in die digitale Zukunft zu ebnen (Brenner, 2019).

Weiterführende Inhalte

Neue bzw. veränderte Kompetenzen von Mitarbeitenden im digitalen Wandel: Ein Beitrag aus Brandenburg

Quellen

Brenner, Rainer (2019): Wie KMU die Digitalisierung gelingt (Reihe: Im Fokus). SpringerProfessional, Wiesbaden. 

Thiessen, Thomas (2016): Mittelstand im digitalem Wandel: Bedarfs- und Trendanalyse zu Führungskultur und Veränderungsmanagement (Reihe: Mittelstand 4.0). BSP Business School Berlin. 

Heiser, Patrick (2016): Datenauswertung mit der Grounded Theory Methodologie. Kodieren. Typenbildung. Forschungsbeispiel. Fernuniversität Hagen.

Jörg Strübing (2004). Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirisch begründeten Theoriebildung (Reihe: Qualitative Sozialforschung Bd. 15). VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

Autor
Dr. Manuela Grigorjan

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

ATB Arbeit, Technik und Bildung gGmbH

Geschäftsstelle Eilenburg
Maxim-Gorki-Platz 1
04838 Eilenburg