Wissenspool-Beitrag

Wie die digitale Transformation das Berufsbild des Ingenieurs/der Ingenieurin verändert

von Sven Preußer und Tobias Sanders
12.08.2022

Einleitung

Ob Künstliche Intelligenz, Sensorik, digitale Konstruktionspläne sowie virtuelle Umgebungen in der Produktion – die digitale Transformation und der damit einhergehende technologische Wandel ist längst in der Industrie angekommen. Im Zusammenhang damit hat sich in den letzten Jahren die Bezeichnung Industrie 4.0 durchgesetzt. Sie stellt zwar einerseits eine große Herausforderung für kleine und mittlere Unternehmen der Industrie dar, andererseits bietet sie große Chancen, sich perspektivisch mit den innerbetrieblichen Strukturen und Prozessen auseinanderzusetzen. Dies zeigt sich sowohl in struktureller Hinsicht, indem das Geschäftsmodell und die zugrunde liegende Unternehmensinfrastruktur digital aufbereitet werden muss, als auch bezüglich der personellen Herausforderungen.

Hinsichtlich letzterem stellt sich vor allem die Frage, wie die Beschäftigten der Industrie und v.a. Ingenieurinnen und Ingenieure, die Herausforderungen und den besonderen Ansprüchen der digitalen Transformation adaptieren. Zum einen erfordert die an die digitale Transformation gekoppelte Veränderung der Arbeitswelt (New Work) neue Maßstäbe an die eigene und innerbetriebliche Organisation. Zum anderen sind weitreichende Anpassungsprozesse hinsichtlich der ingenieurswissenschaftlichen Kompetenzen – sowohl Kernkompetenzen als auch weiterführende Kompetenzen – zu erwarten (Heidling & Neumer 2020).

Die Chancen für die einzelnen Mitarbeitenden sind wiederum darin zu sehen, dass das Arbeitsumfeld vielfältiger wird und neue Perspektiven auf das (eigene) Verständnis der Ingenieurstätigkeit wirft, was wiederum die Sinnhaftigkeit des Tuns steigern kann. Das neue Verständnis des Berufsbildes Ingenieur oder Ingenieurin in der Selbstwahrnehmung, vor allem aber in der Außenwahrnehmung, geht aber bislang nur langsam vonstatten. Demgegenüber schreitet die tatsächliche Entwicklung der Tätigkeitsfelder und Kompetenzanforderungen erheblich schneller voran. Um die Potenziale daraus entsprechend verarbeiten zu können, muss die Wahrnehmung des Berufsbildes von der kreativen, kollaborativen, innovativen und agilen Arbeit geprägt sein.

Der Artikel skizziert drei Trends und stellt dar, wie diese im Zuge der digitalen Transformation das Beschäftigungs- und Berufsbild des Ingenieurs und der Ingenieurin verändern beziehungsweise beeinflussen werden:

  1. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt (New Work) ermöglicht zunehmend dezentrales Arbeiten, was einerseits zu Entlastungen und Freiräumen der Beschäftigten führt, andererseits aber auch die Ansprüche an die Organisations­kompetenz der Ingenieur:innen erhöht.
  2. Die digitale Transformation verändert das Berufsbild des Ingenieurs sowie der Ingenieurin und stellt neue Erwartungen an die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen.
  3. Ingenieur:innen werden aufgrund ihrer Ausgangskompetenzen und der neu zu entwickelnden Kompetenzen zu treibenden Innovator:innen in Organisationen, was die Bewertung des Berufsbildes stark verändert.

Die digitale Transformation in der Industrie 4.0 wirkt sich auch auf die personale Ebene aus und verursacht einen Wandel des Berufsbilds im Ingenieurwesen.

New Work: Die Veränderungen der Arbeitswelt der Ingenieur:innen heute und morgen

Die digitale Transformation und die dabei verstärkt zunehmende Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien führte dazu, dass sich die Arbeitsgestaltung und ‑organisation der Beschäftigten weitreichend verändert. Dabei rückt aber nicht der technologische Faktor in den Mittelpunkt, sondern die arbeitstätigen Subjekte, die dieser technologische Wandel unterstützen soll. Dieses Phänomen der Aufwertung von Arbeit ist unter dem Stichwort „New Work“ bekannt geworden. Sie ist vor allem geprägt durch eine örtliche und zeitliche Flexibilität und Agilität, was sich wiederum in Formen dezentralen Arbeitens widerspiegelt (Herzberg & Förster-Trallo 2021).

Dezentrales Arbeiten bedeutet zum einen, dass die Leistungserbringung der Beschäftigten nicht mehr an einem Ort, beispielsweise im Großraumbüro, stattfindet, sondern ortsunabhängig und nicht selten auch zeitunabhängig erfolgt. Für diese Formen der flexiblen Arbeitsgestaltung wurden die Begriffe „Remote“ oder „Hybrid Work“ geprägt. Ingenieur:innen, die ihr Verständnis des eigenen Tuns oft mit wochen- und nächtelanger Tüftelei gleichsetzen, finden in der Flexibilität und den Freiräumen von Remote Work ein attraktives Pendant. Dieser hier beschriebene Idealtypus kann – neben weiteren Varianten wie u. a. der Typus, der streng zwischen Arbeits- und Privatleben trennt und sich entsprechend organisiert ­– als kreative:r Schaffer:in bezeichnet werden. Sich nicht von Tages- und Organisationsrhythmen stören lassen zu müssen und dabei stärker unabhängig von Kolleg:innen agieren zu können, kommt der Arbeitsweise diesen (theoretischen) Typus zugute.

Jedoch ist an dieser Stelle ebenso zu konstatieren, dass die entstandenen Freiräume auch organisiert werden müssen. Hierbei ist aber die Digitalisierung eher als Möglichkeit und nicht als ein Hindernis, zu verstehen. Sowohl konkrete digitale Werkzeuge als auch in diesem Entstehungskontext gebildete agile Organisierungsmethoden bilden Erfolgsfaktoren für New Work (Herzberg & Förster-Trallo 2021).

Unter Nutzung eben jener Erfolgsfaktoren bietet New Work eine Vielzahl an Vorteilen, die sowohl für die Unternehmen als auch für die Arbeitnehmenden attraktiv sind:

  • Freiräume wecken die Potenziale der Beschäftigten und erhöhen in nächster Folge die Effizienz der Leistungen.
  • Die Wahrnehmung der eigenen Potenzialentfaltung führt zu mehr Zufriedenheit der Beschäftigten.
  • Flexibilität der Arbeitsgestaltung erhöht das Gefühl der Selbstbestimmung und ermöglicht eine individuell optimale Work-Life-Balance.
  • Selbstbestimmung (und damit einhergehende flache Hierarchien und Vertrauen im Unternehmen) erzeugt das Gefühl von Partizipation innerhalb des Unternehmens und von Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns.
  • Digitalisierte Kommunikation macht Arbeitsabläufe und Kollaborationen innerhalb und zwischen einzelnen Projekten effizienter.

New Work im Ingenieurwesen: Umbruch als Chance

Durch die Digitalisierung wird das Ingenieurwesen vielfältiger. Andere Blickwinkel ermöglichen ein neues Selbstverständnis und verändern auch die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. Die Entwicklung der Tätigkeitsfelder schreitet sehr schnell voran, was sich jedoch nicht zugleich in der (Außen-)wahrnehmung widerspigelt. Um die Potenziale ausschöpfen zu können, muss das Berufsbild durch Innovation, Kollaboration, Kreativität und Agilität geprägt sein.

Änderung des Berufsbildes der Ingenieur:innen macht eine Änderung der Kompetenzen erforderlich

Ebenso hat die digitale Transformation Auswirkungen auf das Berufsbild der Ingenieur:innen – damit ist die Summe aller Tätigkeiten der Berufsausübung gemeint, die wiederum einem spezifischen, in der Aus- und Weiterbildung grob standardisierten Kompetenzprofil zugrunde liegen. Dieses Kompetenzprofil wiederum setzt sich aus verschiedenen Komponenten fachlicher und überfachlicher Kompetenzen, die mit spezifischen berufsfeldbezogenen Qualifikationen ergänzt werden, zusammen. Doch welche Änderungen der Tätigkeiten sind bereits jetzt erkennbar oder nehmen zukünftig eine größere Rolle ein und welche Implikationen hat das auf die Kompetenzprofile der Ingenieur:innen?

Mittels innovativer Informations- und Produktionstechnologien wie Robotik, Automatisierungs­technologien und Künstliche Intelligenz soll die deutsche Industrie, die ihre Tradition aus dem vorwiegend analogen Zeitalter schöpft, modernisiert und zur digitalisierten und vernetzten Industrie 4.0 transformiert werden. Durch das Verschmelzen von Fertigungsanlagen und -technik mit Informationstechnologien zu einem vernetzten System aller Elemente der Wertschöpfung entstünden – so verspricht man sich ­– neue, innovative Industriegüter und effizientere Prozesse in den Wertschöpfungsketten. Das Portfolio einzusetzender Technologien erstreckt sich hier von Leistungen der Forschung und Entwicklung über die Fertigung bis hin zur Wartung und Wiederverwertung am Ende des Produktlebenszyklus. Zunehmend sollen diese Produktzyklen allerdings disruptiven, statt transformatorischen Charakter haben, weshalb weniger nach inkrementellen Verbesserungen über Produktzyklen hinweg gesucht wird, als vielmehr diese Produktkategorien von Grund auf neu entworfen und gestaltet werden.

Das Ingenieurwesen muss darauf entsprechend reagieren und ebenfalls mit seinen traditionellen Grundlagen und Standards brechen, sich den Herausforderungen, die die digitale Transformation mit sich bringt, stellen und eine daran angepasste Zukunftsvision entwickeln (vgl. Stambolieva 2020). Die in der Transformation zur Industrie 4.0 implizierten Anpassungsprozesse erfordern konkrete Adaptionen der Anforderungen an die Träger:innen von Ingenieurleistungen.

Eben jene Träger:innen sollen ihre Kompetenzen an die neuen Aufgabenstellungen anpassen, wobei noch geklärt werden muss, welche Arten von Fertigkeiten und Fähigkeiten notwendig sind, dass Ingenieurinnen und Ingenieure den Ansprüchen gerecht werden. In fachlicher Hinsicht kann erwartet werden, das Ingenieur:innen in Zukunft stärker „out of the box“ denken sollen und weniger den etablierten Prinzipien verhaftet sein sollen. Außerdem steht zu erwarten, dass neue Entwicklungen tendenziell stärker an Bedürfnisse des Marktes und der Kunden und weniger an den Kennzahlen des eigenen Unternehmens ausgerichtet sein werden. Diese Tendenz zu agilem Arbeiten, Erprobungen und Prototyping wird demnach vermutlich auch Ingenieur:innen abverlangt werden.

Dabei sind drei Facetten von Anpassungen der Kompetenzprofile erkennbar (vgl. Eckert et al. 2018, Gottburgsen et al. 2019, Heidling & Neumer 2020, Stambolieva 2020):

  1. Erweiterung der „klassischen“ fachlichen Fähigkeiten und berufsfeldbezogene Qualifikationen (Digital Engineering): Neben technischen Grundlagenwissen werden fundamentale Kenntnisse digitaler Technologien und Industrie 4.0-Anwendungen bedeutsam. Diese stellen nicht selten Weiterentwicklungen bestehender Wissenskomponenten dar, z. B. 3-D-Konstruktionssoftware und Robotikanwendungen.
  2. Erweiterung und Entwicklung von überfachlichen Fähigkeiten (Digital Softskills): Neben fachspezifischen Fähigkeiten sind vermehrt auch überfachliche Kompetenzen gefragt. Insbesondere dann, wenn Ingenieur:innen mit ihren Kolleg:innen verschiedener Spezialkenntnisse zusammenarbeiten, werden Organisationskompetenzen relevant, die dann mit entsprechenden Instrumenten (u. a. Kollaborationswerkzeugen) unterlegt werden.
  3. Entwicklung neuer Fähigkeiten (Data Science (Engineering)): Da der Einsatz von Daten unternehmensübergreifend eine wesentliche Ressource im Unternehmen darstellt (vgl. Preußer & Müller 2021), ist voraussehbar, dass die Bedeutung der Datenkompetenz zunimmt und dass das Profil der Ingenieur:innen um den Aspekt Data Science und Data Literacy erweitert werden wird. Dabei ist zu erwarten, dass folgende Themen in den Fokus rücken werden:
    1. Grundlagenwissen der Datenanalyse und Künstliche Intelligenz (Maschinelles Lernen, Deep Learning);
    2. Grundlagenwissen in Informatik und Programmierung, vernetzte Anlagen und verteilte Systeme sowie Datensicherheit;
    3. Überfachliche Fähigkeiten bei Abstimmungsaufgaben sowie Kenntnisse im Projektmanagement; ebenso notwendig ist eine fachabteilungsübergreifende Kommunikationsfähigkeit.

Die Entwicklung neuer Fähigkeiten sollte nicht reiner Selbstzweck sein, sondern es empfiehlt sich, Aufgabenprofile zu entwickeln und entsprechende (digitale) Kompetenzen abzuleiten. Ein Schema, geschäftsmodellbezogene Aufgabenprofile im Unternehmen zu identifizieren, kann folgendermaßen erstellt werden:

  • Basisprofil: Erkennen und Bewerten von Daten, Interpretieren von Erkenntnissen, Präsentieren von Ergebnissen und Handeln;
  • Aufbauprofil: Ermitteln von Datendefiziten, Suchen nach Datenlösungen, Integration von benötigtem Wissen und Umsetzen von Lösungen;
  • Vertriebsprofil: Einsetzen von digitalen Vertriebskanälen und Teilen von Informationen. (vgl. Erler & Preußer 2022)

Ein solcher Aufbau unterstützt bei der erfolgreichen Implementierung von digitalen und datenbasierten Geschäftsmodellen.

Anpassung des Kompetenzprofils

Mittels innovativer Informations- und Produktionstechnologien wie Robotik, Automatisierungs­technologien und Künstliche Intelligenz soll die deutsche Industrie modernisiert und zur vernetzten Industrie 4.0 transformiert werden.  Das Ingenieurwesen muss darauf entsprechend reagieren und die Kompetenzen der Beschäftigten anpassen. In fachlicher Hinsicht kann erwartet werden, das Ingenieur:innen in Zukunft stärker „out of the box“ denken sollen und weniger den etablierten Prinzipien verhaftet sein sollen. Außerdem werden neue Entwicklungen tendenziell stärker an Bedürfnisse des Marktes und der Kundschaft und weniger am eigenen Unternehmens ausgerichtet sein. 

Dabei sind drei Facetten erkennbar: 

  1. Erweiterung der „klassischen“ Fähigkeiten: Kenntnisse digitaler Technologien und Anwendungen der Industrie 4.0 als Grundlage
  2. Erweiterung und Entwicklung von überfachlichen Fähigkeiten (Digital Softskills): Neben fachspezifischen Fähigkeiten sind vermehrt auch überfachliche Kompetenzen gefragt. 
  3. Entwicklung neuer Fähigkeiten (Data Science Engineering): Bedeutung der Datenkompetenz nimmt zu, u.a. Grundlagen der Künstlichen Intelligenz, Informatik und Programmierung sowie  überfachliche Fähigkeiten im Projektmanagement.

Wandel der Bewertung des Berufsbildes

Die Bewertung und Einordnung von Ingenieurstätigkeiten bei Laien ist noch sehr am klassischen Berufsbild orientiert und geht sehr von einem eher sozial isolierten „Zeichnen“ an einem PC-Arbeitsplatz mit gängigen CAD-Anwendungen einher. Ingenieure und Ingenieurinnen gelten innerhalb dieser Bewertung oft als Einzelgänger, die konzentriert und fleißig ihr Tagespensum nach festgelegten und starren Konstruktionsregeln ableisten und ansonsten sich wenig für die Kontexte der eigenen Arbeit interessieren. Das dieses Bild – wenn es jemals einen wahren Kern hatte – bereits jetzt unrealistisch ist, haben die o.g. Ausführungen gezeigt. Aber auch wenn sich das Berufsbild „Ingenieur:in“ im Zuge der Entwicklung von Industrie 4.0 und New Work rasant geändert hat, ist diese traditionelle, unstimmige Bewertung für die Profession und die Wirtschaft ein Problem, weil sich das in der wahrgenommenen Attraktivität des Berufes widerspiegelt. Im Kontext des Fachkräftemangels sind es dann eher konkurrierende Berufsbilder innerhalb des MINT-Bereiches, die für junge Arbeitnehmende einen attraktiven Karriereweg darstellen. Um die dringend notwendigen Ingenieurdienstleistungen auch in Zukunft gesichert in die Wirtschaft implementieren zu können, müssen diese neuen Formen des Berufsbildes Ingenieur:in aktiv in der Öffentlichkeit kommuniziert werden, damit klar wird, dass es sich um kreative, kommunikative, hoch geschätzte Dienstleistende handelt, die Zweck und Ziel ihres Produktes und des gesamten Kontextes genau kennen und mit Hightech im Soft- und Hardwarebereich arbeiten.

 

Ein Berufsbild im Wandel

Die Einordnung von Ingenieurstätigkeiten ist noch sehr am klassischen Berufsbild orientiert. Dies ist ein Problem für die Lehre und die Wirtschaft, da sich die Vielfalt nicht in der Attraktivität des Berufs widerspiegelt. Die neue Form des Berufsbild muss also aktiv nach außen kommuniziert werden, damit deutlich wird, dass es sich um einen kreativen, kommunikativen und hoch geschätzten Dienstleistungsberuf handelt, der den Zweck und die Ziele des Produkts und des gesamten Kontexts genau kennen und mit Hightech im Soft- und Hardwarebereich arbeitet.

Schlussbemerkung: Aus- und Weiterbildung muss Wandel des Berufsbildes begleiten

Insbesondere sind an dieser Stelle wissenschaftliche Einrichtungen, wie Universitäten, Hochschule und Institute gefragt, die Ausbildung der Ingenieur:innen auf die mit der digitalen Transformation einhergehenden Erfordernisse vorzubereiten. Auch die bislang nicht schwerpunktmäßig im Curriculum verankerten sogenannten Softskills, wie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, werden hierbei eine größere Rolle spielen. Es ist ebenfalls wahrscheinlich, dass sich das Berufsbild Ingenieur:in in einen technischen Kernbereich und einen eher auf Kundenkontakt und Projektmanagement festgelegten teiltechnischen Bereich aufspalten wird.

Auch die Arbeitnehmenden sind einem permanenten Druck ausgesetzt, ihre Kenntnisse anzupassen und sich weiterzuentwickeln (Heim et al. 2019). Dies setzt eine hohe Eigenmotivation voraus, sich selbstständig mit neuen Ausprägungen der eigenen Arbeit zu beschäftigen und sich parallel zu konventioneller Weiterbildung selbstständig damit zu befassen, dass die eigenen Kompetenzen wachsen. Kompetenzen bestehen neben Fähigkeiten, Wissen, Verstehen, Fertigkeiten der Lernenden auch aus Können, Handeln, Erfahrung, Motivation (Klieme et al. 2007; vgl. Sanders et al. 2019). Für die Handlungsfähigkeit der zukünftigen Ingenieur:innen ist die effiziente Kompetenzerweiterung während des gesamten Erwerbslebens unabdingbare Voraussetzung.

Auch die Unternehmen haben zentrale Aufgaben in der Neugestaltung des Berufsbildes Ingenieur:in und sind für technische, organisatorische Voraussetzungen und die richtigen Anreize verantwortlich. Sie müssen sich mit den Dimensionen der Kompetenzentwicklung auseinandersetzen und im Unternehmen strukturelle Rahmenbedingungen schaffen, dass im Sinne des Kompetenzbegriffes nicht nur Lernen ermöglicht wird, sondern diesem Lernprozess entsprechender Raum im Unternehmen zur Verfügung gestellt wird. Das gelingt auf technischer Ebene beispielsweise durch die Nutzung von Lern- und Wissensmanagementtools, durch die Produktion und Anwendung digitaler Medien (Videos oder digitale Schulungsunterlagen) oder den Zugriff auf Online-Lern- und Kollaborationsplattformen. Beispiele für organisatorische Voraussetzungen sind Gruppen- bzw. Teamlernen, Durchführung und Evaluation der Bildungsangebote, arbeitsplatznahes Lernen, Prototyping, Design Thinking, Wissensmanagementprozesse. Aber auch die richtigen Anreize, wie bezahlte Freistellungen zum Lernen, Lernzeitkonten, Bildungs- und Qualifizierungschecks oder freie Zeit zum Planen und Verfolgen innovativer Ideen – z.B. Slack Times (Agrawal et al. 2018) – kommt eine erhebliche Bedeutung zu. Somit können Lernkulturen erzeugt werden, von denen alle Mitarbeitenden und damit auch die Ingenieur:innen profitieren. Die Offenheit zur Nutzung eines agilen Mindsets, New Work und der professionelle Umgang mit technologischem Wandel sollte gegeben sein. Diese Prinzipien müssen nicht für alle Unternehmen und Mitarbeitenden in der höchsten Ausprägung effizient sein, sie aber ergebnissoffen in kleinem Kontext zu testen und zu evaluieren, scheint eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche Unternehmenskulturen zu sein. Außerdem müssen Unternehmen gemeinsam mit Hochschulen und Bildungsdienstleistern die Inhalte, Vorteile und neuen Schwerpunkte des Berufsbildes Ingenieur:in kommunizieren und im Marketing berücksichtigen, so dass sich potenzielle zukünftige Aspirant:innen ein korrektes Bild machen können und damit die Innovationskraft dieses Berufsfeldes wirken kann.

Aus- und Weiterbildung als Ausgangspunkt für den Umschwung

Wissenschaftliche Einrichtungen sind besonders gefragt, die Ingenieur:innen auf den digitalen Transformation vorzubereiten. Auch Softskills wie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit werden eine größere Rolle spielen. Wahrscheinlich ist ebenfalls , dass sich das Berufsbild in einen technischen Kernbereich und einen eher auf Kundenkontakt und Projektmanagement festgelegten Bereich aufteilen wird. Zudem wird Eigenmotivation von den Arbeitnehmenden vorausgesetzt, sich selbstständig mit neuen Ausprägungen der eigenen Arbeit zu beschäftigen und die eigenen Kompetenzen zu schulen.

Unternehmen in der Pflicht

Auch die Unternehmen sind für technische, organisatorische Voraussetzungen und die richtigen Anreize verantwortlich. Sie müssen strukturelle Rahmenbedingungen schaffen, damit für das Lernen der entsprechende Rahmen zur Verfügung gestellt wird. Offenheit zur Nutzung eines agilen Mindsets, New Work und der professionelle Umgang mit technologischem Wandel sollte gegeben sein. Außerdem müssen die neuen Schwerpunkte des Berufsbildes im Marketing berücksichtigt werden, so dass die Innovationskraft dieses Berufsfeldes wirken kann. Nur so können substantiell notwendige Ingenieursdienstleitungen auch in Zukunft gesichert werden.

Autor
Sven Preußer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig

Fakultät Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsingenieurwesen

Forschungszentrum Life Science & Engineering

Eilenburger Str. 13 | 04317 Leipzig | Raum FZ 107

Autor
Tobias Sanders

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

ATB Chemnitz gGmbH

Referenzen

Agrawal, A., C. Catalini, A. Goldfarb & H. Luo, 2018: Slack Time and Innovation. Organization Science 29: 1056–1073.

Botthof, A. & E. Hartmann (2015): Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0. Berlin: Springer Vieweg

Eckert, N., J. Gallenkämpfer, H.-U. Heiß, K. Kreulich, M. Moorjai, C. Müller, G. Müller, C.-A. Schumann, T. Sowa & G. Spiegelberg (2018): Smart Germany. Ingenieurausbildung für die digitale Transformation. Diskussionspapier zum VDI-Qualitätsdialog. VDI-Thesen und Handlungsfelder

Erler, F. & S. Preußer (2022): Aufgabenprofile für digitale Geschäftsmodelle. Wie KMU digitale Geschäftsmodelle etablieren können, indem sie Mitarbeiter*innen mit digitalen Kompetenzen ausstatten. URL: https://zda.xen2.de/wissens–pool/­innovative-wertschoepfung-und-geschaeftsmodelle/datenorientierte-wertschoepfung-und-unternehmensfuehrung/kompetenzen-fuer-digitale-geschaeftsmodelle

Gottburgsen, A., K. Wannemacher, J. Wernz & J. Willige (2019): Ingenieurausbildung für die Digitale Transformation. Zukunft durch Veränderung. VDI Studie

Heidling, E., P. Meil, J. Neumer, S. Porschen-Hueck, K. Schmierl, P. Sopp, & A. Wagner (2019): Ingenieurinnen und Ingenieure für Industrie 4.0. Frankfurt a. M.: IMPULS-Stiftung

Heidling, E. & J. Neumer (2020): Kompetenzprofile von Ingenieurinnen und Ingenieuren im digitalen Wandel. in Lehmann, L., D. Engelhardt & W. Wilke (Hrsg.) Kompetenzen für die digitale Transformation 2020. Digitalisierung der Arbeit – Kompetenzen – Nachhaltigkeit. 1. Digitalkompetenz-Tagung. Springer Vieweg

Heim, Y., T. Sanders & A.C. Bullinger-Hoffmann, 2019: Von Kompetenzbedarfen zu Kompetenzmanagement unter Unsicherheit. S. 235–244 in: A.C. Bullinger-Hoffmann (Hrsg.), Zukunftstechnologien und Kompetenzbedarfe: Kompetenzentwicklung in der Arbeitswelt 4.0. Berlin, Heidelberg: Springer.

Herzberg, T. & D. Förster-Trallo (2021): Informations- und Kommunikationstechnologien als Erfolgsfaktoren für New Work. Neue Formen der Arbeit im digitalen Zeitalter. URL:
https://zda.xen2.de/wissenspool/new-work/digitalisierung-und-new-work

Klieme, E., H. Avenarius, W. Blum, P. Döbrich, H. Gruber, M. Prenzel, K. Reiss, K. Riquarts, J. Rost, H.-E.Tenorth & H.J. Vollmer, 2007: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards: Eine Expertise. Bonn, Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Preußer, S. & H. Müller (2021): Kriterien zur Messung des Reifegrads der Datenintegration in das Geschäftsmodell. in Zeynep, Tuncer et al. (Hrsg.): 3. Wissenschaftsforum: Digitale Transformation, Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn.

Sanders, T., Y. Heim, A. Melzer & A.C. Bullinger-Hoffmann, 2019: Kompetenzmanagement in der Dienstleistungs- und Maschinenbaubranche – ein Status quo. S. 83–102 in: A.C. Bullinger-Hoffmann (Hrsg.), Zukunftstechnologien und Kompetenzbedarfe: Kompetenzentwicklung in der Arbeitswelt 4.0. Berlin, Heidelberg: Springer

Stambolieva, M. (2020): Digitalisierung im Maschinenbau – Beruf im Wandel. Lehmann, L., D. Engelhardt & W. Wilke (Hrsg.) Kompetenzen für die digitale Transformation 2020. Digitalisierung der Arbeit – Kompetenzen – Nachhaltigkeit. 1. Digitalkompetenz-Tagung. Springer Vieweg