Zum Umgang mit den Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation in KMU
Zusammenfassung
Schilderungen von Berater*innen der regionalen Zukunftszentren zeigen, dass die Leitungsebene kleinerer und mittlerer Unternehmen bei ihrer Geschäftsmodellentwicklung häufig weniger die Potenziale als vielmehr die Herausforderungen bzw. die Kostenseite von Innovationen betrachten. Dies stellt sich – aus unserer Sicht – als große Hürde bei der Ausrichtung auf zukunftsfähige Unternehmungen heraus.
Das Ziel dieses Artikels ist es, Potenziale und Herausforderungen von Digitalisierungsprozessen in einer Übersicht zusammenzubringen und daraus die kurz-, mittel- und langfristigen Wirkungen von Innovationen aufzuzeigen. Neben einer inhaltlichen Aufbereitung von Literatur möchten wir die Einblicke, die wir aus Interviews mit Praxispartner*innen erhalten haben, in die Ausarbeitung in einem Überblick einbringen.
Einleitung
Die digitale Transformation wirkt auf alle Gesellschaftsbereiche und prägt diese nachhaltig (Kollmann & Schmidt 2016). Im wirtschaftlichen Umfeld sind längst die meisten Unternehmen – branchen- und geschäftsmodellübergreifend – mit den Veränderungen der Markt- und Wettbewerbsbedingungen konfrontiert. Dieser Wandel mit all seinen Veränderungen stellt Unternehmen einerseits vor (neue) Herausforderungen, andererseits sind die Potenziale, die der digitale Wandel mit sich bringt, nicht von der Hand zu weisen und versprechen Effizienzgewinne, höhere Flexibilität und mehr Innovation.
Obwohl das Potenzial der digitalen Transformation vielversprechend erscheint, gelingt es insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen in der Breite oft nur sehr eingeschränkt, konkrete Ideen zu entwickeln und Maßnahmen der digitalen Transformation erfolgreich umzusetzen. Insbesondere Handwerksbetriebe äußern häufig Bedenken und stehen Maßnahmen der Digitalisierung kritisch gegenüber. Dies stellt sich als große Hürde bei der Ausrichtung auf zukunftsfähige Unternehmungen heraus.
Befragt man die Gründe genauer, dann begegnen einen oftmals Vorurteile und Ängste bei den Entscheidern in Handwerks-KMU, welche sich meistens dahingehend ausprägen, als dass man nicht weiß, ob sich die „Digitalisierung lohnt“. Auch Schilderungen vom Berater*innen zeigen, dass die Leitungsebene der KMU bei ihrer Unternehmensentwicklung häufig weniger die Potenziale als vielmehr Herausforderungen bzw. Kostenseite von Innovationen betrachten.
Dieser Artikel widmet sich der Fragestellung, ob Maßnahmen der Digitalisierung lohnen, indem Herausforderungen und Potenziale bzw. Kosten und Nutzen von Digitalisierungsprozessen in einer Übersicht zusammengebracht und daraus die kurz-, mittel- und langfristigen Wirkungen von Innovationen aufgezeigt werden. Dazu wird geschaut, welche Effizienzgewinne in der einschlägigen Literatur angesprochen werden. Folgend werden diese Effizienzgewinne wie sie in der Praxis von kleinen und mittleren Unternehmen, also der Zielgruppe, angewandt werden, geprüft und bewertet. Dazu wurde zwei Akteur*innen mit Expertise bei Unternehmensberatungen mit Schwerpunkt auf digitale Transformationsprozesse befragt und in die Auswertung mit eingearbeitet (referenziert mit PA = Praxispartner*in A und PB = PB).
Ansprüche und Anforderungen der digitalen Transformation an die (wirtschaftliche) Umwelt
Übertragen auf die Wirtschaft beziehungsweise Unternehmen adressieren die Transformationsprozesse der Digitalisierung:
- die Vernetzung von Akteuren wie beispielsweise von Unternehmen und Kund*innen,
- den Einsatz neuer Technologien,
- die Analyse sowie den Austausch von Daten beziehungsweise Informationen und
- die Adaption des Geschäftsmodells, insbesondere der Unternehmensprozesse, den Beziehungen zu relevanten Akteuren des Unternehmens (Kund*innen oder Geschäftspartner*innen) und den angebotenen Produkten oder Dienstleistungen. (Schallmo 2016)
Daraus ergibt sich sogleich auch die Beschreibung der Anforderungen, vor die ein Unternehmen in Hinblick auf die digitale Transformation gestellt ist: Auf Trends wie die zunehmende Nachfrage nach Produktindividualisierung und kürzere Produktlebenszyklen gilt es zu reagieren, wobei sich sogleich in diesem Zusammenhang neue Herausforderungen stellen, wie die Automatisierung von Prozessen oder eine Optimierung des Versands der Produkte (Harwardt 2020; PA).
Zugleich bilden technologische Entwicklungen wie Cloud-Computing, Machine-to- Machine-Kommunikation, additive Fertigung und Big Data das Rüstzeug für verbesserte Wertschöpfungsketten, die mittels umfassender Datenintegration eine intelligente Steuerung der innerbetrieblichen Wertschöpfungsprozesse möglich machen (Pflaum & Schulz 2019; Otte 2020; PA und PB).
Die Anwendung und Integration von Technologien im Unternehmen ist jedoch nicht allein Selbstzweck, sondern adressiert Zielstellungen, die sowohl für die Unternehmen selbst von Interesse sind als auch solche Ziele, die insgesamt gesellschaftliche Wirkungen erzielen. Organisationsbezogene Zielstellungen sind zum einen die Steigerung der Produktivität und Effizienz in den innerbetrieblichen Prozessen und Abläufen, zum anderen die Verbesserung technischer Standards. Darüber hinaus kann eine Implementierung neuer Geschäftsmodells angestrebt werden (PB). Die Herausbildung und Förderung einer innovativen Unternehmenskultur sowie eine Veränderung des (auch innerbetrieblichen Weiter-) Bildungssystems, um bestehende und zukünftige Mitarbeiter auf die Nutzung digitaler Technologien vorzubereiten ist Folge und Chance einer gelingenden digitalen Transformation auf organisationaler und gesellschaftlicher Ebene gleichermaßen (Harwardt 2020; PA; PB)
Die digitale Transformation als besondere Herausforderung für kleine und mittlere Unternehmen
Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands wird weniger von Großunternehmen generiert; vielmehr wird die wirtschaftliche Leistung im Wesentlichen von mittelständischen Unternehmen geleistet (Becker 2016), die sich zudem durch eine hohe Diversität der Branchen auszeichnen (vgl. Heyse & Ortmann 2018). So gehören 99,5 Prozent von insgesamt etwa 3,5 Millionen Unternehmen zur Größenordnung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), welche vor allem quantitative Kriterien zur Einordnung enthält: Als Grenze gilt das Nichtüberschreiten des Jahresumsatzes (geringer als 50 Millionen Euro), der Anzahl an Mitarbeitenden (weniger als 250) und/oder der Bilanzsumme (unter 43 Millionen Euro).
Oftmals sind mit den beschriebenen Kriterien der KMU gleichzeitig die Herausforderungen für diese Unternehmen und die damit verbundenen besonderen Risiken bei der Gestaltung der (fortschreitenden) digitalen Transformation genannt: Ihnen steht, im Vergleich zu Großunternehmen, oftmals eine geringere Kapitalbasis zur Verfügung, welche eine geringe Investitionsfähigkeit beziehungsweise weniger Möglichkeiten der Innovationsfinanzierung zur Folge hat (PA; PB). Deshalb sind es oftmals die größeren Unternehmen, die sich schnell und effizient anpassen, so auch bei Digitalisierungs- und Industrie-4.0- Technologien, während KMU eher zögerlich agieren (Bertschek et al. 2015).
Verglichen mit Großunternehmen besitzen KMU wiederum meist deutlich flexiblere Strukturen und damit eine höhere Reaktionsfähigkeit. Werden diese Strukturen und Fähigkeiten auch sinnvoll genutzt, verspricht sich daraus ein hohes Potenzial, was den zukünftigen Erfolg der KMU sichern könnte. So schätzt eine Studie des BMWi das Wachstumspotenzial der Bruttowertschöpfung von 200 bis 425 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 (BMWi 2015). Jedoch schätzen lediglich 24 Prozent der mittelständischen Unternehmen den Grad der Digitalisierung im Unternehmen als hoch oder sehr hoch ein und führen dies zurück auf fehlendes Fachwissen zu den technischen Möglichkeiten und auf unzureichende Vorstellungen zum wirtschaftlichen Potenzial (BMWi 2015).
Die zentralen Herausforderungen sind insbesondere:
- Fachkräftemangel (PA)
- Unzeitgemäße (i. S. von nicht-digitale) Geschäftsmodelle (PA und PB)
- Übertragung von Prozessen in digitale Strukturen (PB)
- Überwindung von Silodenken (PB)
- Strategische Weichenstellung anstelle alleiniger Fokussierung auf das Alltagsgeschäft (PB)
- Verständnis neuer Managementansätze (PB)
- Lebenslanges Lernen aufgrund immer kürzeren Lebenszyklen der Technologien (PB)
- Ungewissheit und Unerfahrenheit bei der Auswahl geeigneter Digitalisierungsinstrumente (Praxispartner B) bzw. mangelnde Umsetzungskompetenz (PA)
Becker, W.; Ulrich, P.; Botzkowski, T. (2016): Data Analytics im Mittelstand. Springer Fachmedien, Wiesbaden.
Bertschek, I.; Reiner, C.; Buhr, D.; Hirsch-Kreinsen, H.; Falck, O.; Heimisch, A.; Jacob-Puchalksa, A.; Mazat, A. (2015): Industrie 4.0: Digitale Wirtschaft – Herausforderung und Chance für Unternehmen und Arbeitswelt. Ifo Schnelldienst.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2015): Industrie 4.0 und Digitale Wirtschaft – Impulse für Wachstum, Beschäftigung und Innovation. PRpetuum GmbH, Berlin.
Harwardt, M. (2020): Digitalisierung in Deutschland – Der aktuelle Stand. In: Harwardt, M.; Schmutte, A. M.; Steuernagel, A. (Hg.), Führen und Managen der digitalen Transformation. Springer Fachmedien, Wiesbaden.
Heyse, V.; Ortmann, S. (2018). Kompetenzentwicklung 4.0 als Voraussetzung einer erfolgreichen Umsetzung von Digitalisierungsstrategien im Mittelstand 4.0. In: Heyse, V.; Ortmann, S.; Erpenbeck, J. (Hg.), Mittelstand 4.0 – Eine digitale Herausforderung. Waxmann, Münster.
Kollmann, T.; Schmidt, H. (2016): Deutschland 4.0. Wie die Digitale Transformation gelingt. Springer Gabler, Wiesbaden.
Otte, R.; Wippermann, B.; Schade, S.; Otte, V. (2020): Von Big Mining bis Big Data: Handbuch für die industrielle Praxis, Carl Hanser Verlag.
Pflaum, A.; Schulz, E. (2019): Auf dem Weg zum digitalen Geschäftsmodell: „Tour de Force“ von der Vision des digitalisierten Unternehmens zum disruptiven Potenzial digitaler Plattformen. In: Meinhardt, S.; Pflaum, A. (Hg.), Digitale Geschäftsmodelle – Band 1. Springer Verlag.
Schallmo, D. (2016): Jetzt digital transformieren – So gelingt die erfolgreiche Digitale Transformation Ihres Geschäftsmodells, Springer Gabler, Wiesbaden.