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Design Thinking und Künstliche Intelligenz

19.07.2022
Lesezeit: ca. 13 min
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Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Sie KI für gute Arbeit konkret einlösen können?

KI für gute Arbeit – also für gute Arbeitsbedingungen – kann unter anderem dadurch erreicht werden, dass die Bedarfe der Beschäftigten bei der Einführung und dem Einsatz von KI-Technologien Berücksichtigung finden. Idealerweise werden Beschäftigte von Beginn an in den Prozess eingebunden, sodass KI im Betrieb nicht nur ausgehend von den betrieblichen Zielen und den Anforderungen von Kund:innen eingesetzt wird.

Beschäftigte können wesentlich zum erfolgreichen KI-Einsatz beitragen. Zum einen, weil sie wichtiges Erfahrungswissen in Bezug auf Arbeitsprozesse und -tätigkeiten, in denen KI-Systeme eingesetzt werden können, mit- und in den Prozess einbringen können. Zum anderen, weil sie als potentielle Endnutzer:innen oder Administrator:innen mit KI-Systemen interagieren und daher das Vertrauen in und die Akzeptanz von KI-Technologien sichergestellt sein sollte. 

Dieser Beitrag zeigt auf, wie man die Innovationsmethode Design Thinking nutzen kann, um Beschäftigte bei der Einführung von KI-Technologien einzubeziehen und deren Bedarfe und Bedürfnisse zu berücksichtigen. 

Die Innovationsmethoden Design Thinking

Design Thinking ist – ähnlich wie KI – in aller Munde. Bei Design Thinking handelt es sich um eine Innovationsmethode, die bei der Entwicklung von Innovationen wie Technologien, Produkten bzw. Dienstleistungen oder Geschäftsmodellen zum Einsatz kommt. Das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam definiert Design Thinking wie folgt:

„Design Thinking ist eine systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen aus allen Lebensbereichen. (…) Im Gegensatz zu vielen Herangehensweisen in Wissenschaft und Praxis, die von der technischen Lösbarkeit die Aufgabe angehen, stehen Nutzerwünsche und -bedürfnisse (…) im Zentrum des Prozesses.“

Design Thinking ist nicht nur eine einzelne Methode, sondern eine ganzheitliche Systematik zur Entwicklung von Innovationen. In den folgenden fünf, aufeinander aufbauenden Design Thinking Phasen kommen verschiedene analytische und kreative Methoden zum Einsatz:

  • Empathie-Phase: Mithilfe von beispielsweise Interviews und analytischen Methoden soll ein tiefes Verständnis der eigenen Zielgruppe aufgebaut werden.
  • Definitions-Phase: Die Zielgruppe mit ihren Bedarfen, Herausforderungen und Zielen wird definiert. Hierfür kommen kreative Methoden wie beispielsweise sogenannte Personas zum Einsatz. Mit Personas werden typische, fiktive Stellvertreter:innen der Zielgruppe entwickelt, für die im Anschluss Lösungen entwickelt werden.
  • Ideenfindungs-Phase: Mit kreativen Methoden wie beispielsweise „Wie könnten wir-Fragen“ werden Ideen entwickelt, bewertet und ausgewählt, wie die Zielgruppe unterstützt werden kann.
  • Prototypen-Phase: Ausgewählte Ideen werden beispielsweise mithilfe von Skizzen, physischen Materialien oder mithilfe von technischen Systemen in Prototypen von Produkten oder Dienstleistungen zu den ausgewählten Ideen überführt.
  • Test-Phase: Mithilfe von analytischen Methoden wie Workshops, Fragebögen oder Nutzertests werden die Prototypen mit der Zielgruppe getestet und Feedback eingeholt.

Design Thinking eignet sich für KI-Projekte unter anderem, weil der Mensch im Zentrum der Methode steht. So kann verhindert werden, nur auf die Technologie zu blicken und – wie im Bereich KI typisch – überhöhte Erwartungen zu erzeugen. Vielmehr können KI-Technologien für den eigenen Betrieb unter Berücksichtigung der Bedarfe der Beschäftigten oder Kund:innen bewertet werden. Außerdem handelt es sich um eine systematische, offene und agile Methode, die einerseits Betrieben mit Phasen und konkreten Methoden Orientierung zum Vorgehen bietet und andererseits offen für Iterationen und agile Entwicklungen ist, was für Technologie-Entwicklung im Allgemeinen und KI im Speziellen sehr wichtig sind.

Design Thinking in KI-Projekten

Design Thinking kann in KI-Projekten in Betrieben auf unterschiedliche Weise zum Einsatz kommen. Besonders geeignet ist die Methode, wenn Betriebe individuelle KI-Lösungen entwickeln möchten – sei es inhouse, also eigenständig und aus eigenen Kräften oder mit Unterstützung externer Partner wie beispielsweise KI-Forscher:innen oder -Anbieter:innen. In diesen KI-Entwicklungsprojekten können sich Betriebe eng an dem beschriebenen Design Thinking Prozess orientieren. Insbesondere die Prototypen-Phase ist in diesem Fall besonders wichtig, um frühzeitig eine Vorstellung der KI-Lösung zu entwickeln und in Testphasen mit Beschäftigten durchzuführen.

Die Eigenentwicklung von KI-Technologien kann insbesondere für KMU eine große Herausforderung darstellen. Diese sind vor allem geringere personelle und finanzielle Ressourcen sowie fehlende Kompetenzen im Bereich Data Science und KI, aber auch geringere Datenmengen aufgrund der kleineren Unternehmensgröße. Für viele KMU kann es aus diesen Gründen lohnenswerter sein, auf bestehende KI-Produkte von KI-Anbieter:innen zurückzugreifen, diese mit den KI-Anbieter:innen für die eigenen Zwecke anzupassen und im Betrieb anzuwenden. Für diese KI-Anwendungsprojekte ist eine Anpassung des Design Thinking Prozesses notwendig, da beispielsweise die Prototypen-Phase zur entfällt.

Eine Anpassung des Design Thinkings für KI-Anwendungsprojekte wurde im Projekt KI.ASSIST https://www.ki-assist.de/) durchgeführt. Hier wurde Design Thinking in sogenannten Lern- und Experimentierräumen (LER) eingesetzt. In diesen LER wurden mithilfe von Design Thinking die Bedarfe der Beschäftigten mit Behinderung analysiert und im Anschluss vorhandene KI-gestützte Assistenztechnologien für Beschäftigte mit Behinderungen bewertet und ausgewählt. Die ausgewählten KI-gestützten Assistenztechnologien wurden mit der Zielgruppe gemeinsam getestet und bewertet.

Bei KI-Anwendungsprojekten können vor allem diejenigen Elemente des Design Thinkings genutzt werden, die zur Analyse und Festlegung der Bedarfe von Beschäftigten oder Kund:innen (Empathie- und Definitions-Phase) als Ausgangspunkt zur Bewertung und Auswahl von KI-Technologien dienen. Auch Elemente aus der Prototypen-Phase und der Testphase können für die Entwicklung von KI-Testräumen genutzt werden. Die folgende Abbildung zeigt, dass Design Thinking in den Lern- und Experimentierräumen des Projekts KI.ASSIST in drei Workshops mit partizipativen Phasen zwischen den Workshops umgesetzt wurde.

Design Thinking zur Bewertung und Auswahl vorhandener KI-gestützter Assistenzsysteme (Quelle: KI.ASSIST)

Zu Beginn ist es ratsam, mehrere Gespräche mit Vertreter:innen der Zielgruppe zu führen, um mehr über deren Bedarfe, Problemlagen und Wünsche zu erfahren. Die Zielgruppe von KI-Projekten können – in Abhängigkeit der mit dem KI-Projekt verbundenen Ziele – Beschäftigte oder Kund:innen sein. Die Ergebnisse aus den Interviews können in sogenannten Empathiekarten, einer Methode aus dem Design Thinking, zusammengefasst und ausgewertet werden.

In einem ersten Workshop mit Vertreter:innen der Zielgruppe sollte auf Basis der Gesprächsergebnisse die Zielgruppe bestimmt werden. Mithilfe der Empathiekarten können die häufigsten bzw. wichtigsten Bedarfe, Probleme und Wünsche identifiziert und ausgewählt werden. Es kann hilfreich sein, zu diesen Bedarfen, Problemen und Wünschen sogenannte Personas  zu entwickeln. Mit Personas sind typische bzw. repräsentative Stellvertreter:innen der Zielgruppe gemeint. Die Entwicklung eines idealtypischen Tagesablaufs der Persona kann das Verständnis für die Bedarfe und Herausforderungen der Zielgruppe weiter schärfen. Abschließend können mit „Wie könnten wir…“-Fragen die Vision und Ziele des KI-Einsatzes bestimmt werden.

Mit den Ergebnissen des ersten Workshops können vorhandene KI-Technologien identifiziert und bewertet werden. Da es sich bei KI um ein dynamischen Technologiefeld handelt, ist dies eine schwierige Aufgabe für Betriebe. Aus diesem Grund ist es ratsam, Netzwerke mit externen Partnern aufzubauen und mit diesen zusammen zu arbeiten, vorhandene Informations- (z.B. Technologie-Datenbanken) und Beratungsangebote (z.B. der regionalen Zukunftszentren) sowie von Informations- und Vernetzungsveranstaltungen (z. B. Technologie-Messen, Konferenzen, Webinare von Technologie-Anbietern) zu nutzen.

Für den zweiten Workshop mit Vertreter:innen der Zielgruppe sollten mehrere KI-Technologien ausgewählt werden, die für die entwickelten Persona und die Ziele des KI-Einsatzes geeignet erscheinen. Die ausgewählten KI-Technologien sollten unter anderem dahingehend bewertet und verglichen werden, inwiefern diese die Bedarfe der Persona unterstützen und zur Lösung der Herausforderungen der Persona beitragen. Je nach Ziel des KI-Einsatzes können weitere Bewertungskriterien entwickelt werden. Zur Vergleichbarkeit der Technologien können bei der Bewertung Punkte vergeben und ein Ranking erstellt werden, das die Auswahl einer oder mehrerer KI-Technologien unterstützt.

In einem dritten Workshop mit Vertreter:innen der Zielgruppe sollten Ideen dazu entwickelt werden, wie die ausgewählte KI-Technologie im Betrieb erprobt und eingesetzt werden könnte. Dabei geht es neben der Identifikation von möglichen Einsatzgebieten für die KI-Technologie, also zum Beispiel Arbeitstätigkeiten oder -prozesse, auch darum, geeignete Formate für den Test der KI-Technologie in einem geschützten Rahmen zu identifizieren. Unter anderem sind die Personengruppen, Aktivitäten, Methoden, Orte und Zeitrahmen für die Erprobung und den Einsatz der KI-Technologie zu bestimmen. Dabei sollten die im ersten Workshop definierten Ziele erfüllt werden.

 

Autor: Rolf Feichtenbeiner

Dieser Beitrag wurde von Rolf Feichtenbeiner verfasst. Er ist Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Im Projekt KI.ASSIST hat er einen Design Thinking Ansatz zur Auswahl KI-gestützter Assistenztechnologien für Menschen mit Behinderung und deren Erprobung in Lern- und Experimentierräumen entwickelt und mit ausgewählten Rehabilitationseinrichtungen durchgeführt.