Wissenspool-Beitrag

KI und Dimensionen der Technikfolgenabschätzung für Arbeit und Beschäftigte

27.04.2022
Lesezeit: ca. 11 min
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Die Digitalisierung beschleunigt den Wandel der Arbeit. Auch wenn Arbeit immer Veränderungen unterworfen ist, gibt es bestimmte Phasen, in denen die Veränderung schneller verläuft. Meist spielt die Einführung neuer Technologien dabei eine wichtige Rolle, immer in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen. Auch die Digitalisierung ist verbunden mit der Globalisierung, demografischen Entwicklungen, Veränderungen in der Bildung und nicht zuletzt einem Wertewandel bei den arbeitenden Menschen.

Unter dem Label Künstliche Intelligenz (KI) findet mit der Einführung von bestimmten digitalen Techniken im Arbeitskontext und in der Gesellschaft ein qualitativ neuer technologischer Schritt statt. Definitionsgemäß ist KI ein Sammelbegriff für Algorithmen, die große Datenmengen verarbeiten können, lernfähig sein können sowie in der Lage sind, selbständig komplexe Lösungen zu finden. KI-Systeme können über die Fähigkeit zur Selbstoptimierung verfügen und zeichnet sich zunehmend durch eine immanente Komplexität und intransparente Lösungswege aus (»Black Box«, vor allem bei Ansätzen des Maschinellen Lernens). Das unterscheidet sie von bisher genutzten, auch digitalen Werkzeugen. Auf der betrieblichen Ebene können KI-Systeme Arbeit organisieren, steuern und kontrollieren. Sie können auch eine sich selbst organisierende und optimierende Struktur von Geschäfts- und Arbeitsbeziehungen schaffen.

Damit kann der Einsatz von KI-Systemen im Arbeitskontext zu qualitativen und quantitativen Veränderungen führen, die eine Anpassung des regulativen Rahmens und in den Arbeitsbeziehungen erfordern. Neben der Frage nach der neuen Qualität von Arbeit werden auch quantitative Beschäftigungseffekte erwartet, die sich daraus ergeben, dass KI und andere digitale Technologien immer stärker Einzug in die Betriebe halten. Die Debatte über mögliche Auswirkungen auf die Gesamtbeschäftigung ist jedoch nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern sehr uneinheitlich. Die Prognosen über Beschäftigungswirkungen variieren stark.

KI im Spannungsverhältnis aus Potenzial, Regulierung und Rentabilität

Ob und in welchem Umfang KI im einzelnen Unternehmen tatsächlich eingesetzt wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Was kann KI technisch leisten, ist der erste. Was darf KI, also welchen regulatorischen Rahmenbedingungen und damit die Frage, unter welchen Bedingungen und für welche Aufgaben bzw. mit welchen Auflagen KI eingesetzt werden darf, ist der zweite. Zu dieser zweiten Frage zählen nicht nur ethische und regulatorische Beschränkungen, sondern auch der Aspekt, inwiefern sich KI überhaupt in den Produktions- und Arbeitsprozessen integrieren lässt, also ihre »Integrationsfähigkeit«. Dazu kommt, dass nicht alles betrieblich umgesetzt wird, weil es technisch möglich ist. Die Einführung technischer Innovationen in der Arbeitspraxis, auch im Bereich der KI-Technologie, unterliegt besonderen Bedenken und realen Beschränkungen. Diese beiden Faktoren bilden den Rahmen für die betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob sich eine Investition in KI im Einzelfall tatsächlich lohnt. Dieser dritte Faktor, bzw. die Frage wie die betriebswirtschaftliche Berechnung von Kosten und Ertrag im Einzelfall aussieht, ist im Falle von KI besonders schwer anzustellen. Die Entscheidung über den tatsächlichen Einsatz von KI im Unternehmen hängt also davon ab, was KI kann, was KI darf, und was sie dem Unternehmen konkret bringt.

Auch ungeachtet der Rahmensetzung ist in vielen betrieblichen Kontexten schwer abzuschätzen, was Investitionen in KI tatsächlich für den Produktions- und Arbeitsprozess bedeuten und ob sie die erstrebten Produktivitätsfortschritte erzielen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die Technologie selbst sowie ihren Einsatz verändert, dürften diese Entscheidungen vielen Unternehmen schwerfallen. Darüber hinaus ist der regulative Rahmen eine schnell veränderliche Größe, da sie in vielen Bereichen erst am Anfang steht. Schließlich ist schwer einzuschätzen, ob die Technologie erfolgreich in die Arbeitsorganisation eines Unternehmens integriert werden kann und damit die Gesamtabläufe der Produktion oder Dienstleistungserbringung tatsächlich verbessert werden. Denn dies hängt stark von »weichen« Faktoren ab, nämlich davon, ob die Interaktion der KI mit dem Menschen (Mitarbeiter:innen, Kund:innen etc.) gelingt und produktiv genug ist.

Es ist dieses Spannungsverhältnis aus technologisch beweglichen Grenzen, unklarem regulativen Rahmen und betrieblicher Funktionalität, die eine betriebswirtschaftliche Investitionsentscheidung mit vielen Unsicherheiten prägt. Eine fundierte Folgenabschätzung der KI-Technologie kann helfen, die Unsicherheiten der betrieblichen Entscheidungen zu reduzieren. Was sind zu erwartende Auswirkungen von KI-Anwendungen im Unternehmen, direkt am Arbeitsplatz? In welchen Bereichen spielt KI oder könnte KI eine Rolle spielen?

Sie umfasst z. B. schon heute die Bearbeitung von Standardfällen, beispielsweise im Finanz- und Versicherungsbereich, im medizinischen- und Gesundheitssystem sowie in vielen juristischen Bereichen. Hier spielt KI aber auch nicht mehr nur eine Rolle für Datenauswertungen, Diagnosen und Prognosen, sondern auch in der Forschung. Gerade in der Diskussion um Mustererkennung im Bereich der Medizin hat es sich aber gezeigt, dass ein vollständiger Ersatz menschlicher Entscheidungen (noch) nicht möglich ist, sondern vieles dafür spricht, dass KI – zumindest in sensiblen und Grenzbereichen – eher als Assistenzsystem eingesetzt werden wird.

Ein anderes Feld des KI-Einsatzes, das auch zugleich dessen Grenzen zeigt, sind betreuende und umsorgende Dienstleistungen am Menschen. Roboter, häufig verstanden als physische Agent:innen der KI, sind nicht selten der Gradmesser für die Automatisierung in einem Betrieb oder einer Dienstleistung in Folge der Digitalisierung und den damit verbundenen Effekten für Arbeit und Beschäftigung. KI kann zwar ein Robotiksystem steuern, dass theoretisch alle möglichen Tätigkeiten in einem Unternehmen oder einem Haushalt ausführen kann. Bilderkennung, Sensoren, Aktoren (also antriebstechnische Baueinheiten) sind somit zunehmend in der Lage, diverse Aufgaben zu erfüllen. Trotzdem wird vor allem im persönlichen Dienstleistungsbereich immer deutlicher, dass sensible Entscheidungen und emotionale Aufgaben zu einem hohen Grad weiterhin von Menschen ausgeübt werden. Zum einen, weil KI keine menschlichen Emotionen entwickeln kann (Simulationen sind möglich, aber bislang qualitativ nur sehr begrenzt mit menschlichen Emotionsausdrücken zu vergleichen). Zum anderen, weil der Mensch als emotionales Wesen sensible Informationen über sich selbst vor allem von Menschen akzeptieren dürfte, nicht alleine von einer Maschine. Beispielsweise im Versicherungsbereich, in dem die Bewertung der Versicherungsfälle vollautomatisiert abläuft, wird die Kommunikation bei abschlägig entschiedenen Entscheidungen in der Regel weiterhin von Menschen gemacht. Insgesamt müssen wir davon ausgehen, dass Tätigkeiten, die emotionale Intelligenz und Empathie voraussetzen, sowie jene, die ethische Entscheidungen erfordern, noch lange allein oder überwiegend den Menschen vorbehalten bleiben.

Eine zentrale Frage ist also, bei welchen Arbeitsplätzen KI in Ergänzung menschlicher Tätigkeiten genutzt wird und bei welchen sie Menschen möglicherweise ersetzt. Häufig wurden und werden sog. Routineaufgaben genannt, die durch KI ersetzt werden könnten. Je höher der Routineanteil einer Tätigkeit ist, desto größer ist ihr Substitutionspotenzial. Vertiefte Forschung hat aber deutlich gezeigt, dass Routine nicht gleich Routine ist, denn auch einfachste Routinetätigkeiten sind in Arbeitsprozesse und Arbeitsorganisationen eingegliedert, die nicht ohne weiteres aufgebrochen und neu strukturiert werden können. Und selbst viele einfache Routinetätigkeiten sind deshalb so wertvoll, weil dafür schwer übertragbares und formalisierbares Erfahrungswissen gebraucht wird – etwas, das die KI bislang in vielen Fällen nicht hinreichend abbilden kann. Routinearbeit statisch, also isoliert und isolierbar zu begreifen, wird den Tätigkeiten deswegen häufig nicht gerecht und überzeichnet im Gegenzug das realistische Vermögen der KI. Menschliches Arbeitsvermögen dagegen ist vor allem qualitativ und kontextabhängig erfassbar und umfasst ein breites Spektrum. Wissen, das nicht formalisiert ist, das »stillschweigend« ist, geht über die formale Qualifikation hinaus und umfasst alle menschlichen Sinne wie Intuition, Bauchgefühl und Emotion – und es besteht aus Allgemeinwissen, also Common Sense, also genau dem Level des Verstehens, von dem KI und maschinelles Lernen (noch) sehr weit entfernt sind.

Die Gegenüberstellung von Routine- und Nicht-Routine-Tätigkeiten greift folglich zu kurz und überhöht die digitalen Technologien einschließlich des Werkzeugs KI zum Ersatzmenschen. Offensichtlich gibt es aber die Effizienzsteigerungen bestehender Prozesse und von Arbeitsorganisationen. Fahrerlose Transportsysteme, Mensch-Roboter-Kollaboration (Cobots), Datenbrillen (Smart Glasses), 3D-Druck und additive Fertigung, digitale Assistenzsysteme, Enterprise Resource Planning, digitale Zwillinge und vieles mehr sind zunehmend Teil der betrieblichen oder auch überbetrieblichen Arbeitsteilung. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf einzelne Arbeitsplätze, mit der in vielen Fällen eine Verdichtung von Arbeitsabläufen und Arbeitsbelastung einhergehen kann.

Technologiefolgenabschätzung als Werkzeug für menschenzentrierte KI

Für eine breit angelegte, arbeitsfokussierte Technikfolgenabschätzung ist es notwendig, die verschiedenen Einsatzformen von KI im Arbeitskontext zu kategorisieren und kontinuierlich zu erfassen. Dabei kommt es nicht primär auf die technischen Unterschiede zwischen verschiedenen KI-Systemen oder deren technischen Reifegrad an, sondern auf die Rolle, die die KI im Unternehmen spielt oder spielen soll. Je nach Funktion ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Regulierung und Transparenz von KI sowie an die Rahmenbedingungen für die Beteiligung und Befähigung von Mitarbeiter:innen und ihren Vertretungen in einem Betrieb.

Das KI-Wissens- und Weiterbildungszentrum zielt darauf ab, KMU einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema KI zu ermöglichen und beim menschenzentrierten Einsatz zu unterstützen. Gleichzeitig leistet das KWW als Dialogplattform zwischen Technologie-Anbieter:innen, Betrieben und politischen Gestaltern einen wichtigen Beitrag zur menschenzentrierten KI in KMU.

Gekürzte Fassung eines Beitrags mit Thorben Albrecht, erschienen 2020 bei der Hans Böckler Stiftung: 

Albrecht, T., Kellermann, C. (2020). Künstliche Intelligenz und die Zukunft der digitalen Arbeitsgesellschaft. Konturen einer ganzheitlichen Technikfolgenabschätzung. Hans Böckler Stiftung, Forschungsförderung Working Paper 200https://www.econstor.eu/bitstream/10419/228963/1/1743497164.pdf 

Autor
Dr. Christian Kellermann

Dieser Beitrag wurde von Dr. Christian Kellermann verfasst. Er ist Senior Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und setzt sich in seiner Forschung mit der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf Arbeit, Beschäftigung, Unternehmen und die Gesamtwirtschaft auseinander.

Dr. Christian Kellermann