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Wissenspool-Beitrag

Methode zur partizipativen Einbindung von Betriebsratsmitgliedern bei der Einführung von KI

22.03.2024
Lesezeit: ca. 24 min
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Betriebsräte werden immer häufiger mit der Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) in ihrem Unternehmen konfrontiert. Die Herausforderung für Betriebsräte besteht dabei vor allem darin, potenzielle Auswirkungen von KI-Anwendungen auf Beschäftigte und relevante Regelungsbereiche im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu identifizieren. Dieser Beitrag beschreibt ein methodisches Instrument, das Betriebsräte dabei unterstützt, KI-Anwendungen im Hinblick auf relevante Regelungsbereiche zu analysieren und zu bewerten und im Anschluss konstruktive Gestaltungsempfehlungen zur mitarbeitendenorientierten Gestaltung und Optimierung der KI-Systeme zu formulieren.

Mitbestimmung bei der Einführung und Entwicklung von KI-Anwendungen in deutschen Unternehmen

Die Digitalisierung in Deutschland schreitet voran. Künstliche Intelligenz (KI) spielt in Digitalisierungsprozessen in deutschen Unternehmen eine zunehmend wichtige Rolle. Viele Unternehmen planen derzeit die Einführung von KI-Anwendungen oder setzen sie bereits ein. Ziele sind dabei beispielsweise Produktivitätssteigerungen, Qualitätsverbesserungen, Prozessoptimierungen und Entlastung von Mitarbeitenden. Die Einführung von KI-Systemen erfordert zumeist eine Anpassung von Arbeitsprozessen oder der Organisationsstruktur. Diese Anpassungen wirken sich auf die Arbeitnehmenden aus, was unmittelbar zu einer gesetzlich geregelten Mitwirkung von Betriebsräten (BR) führt. Da es laut Prognose bis Mitte der 30er Jahre keinen Arbeitsplatz mehr ohne KI geben wird, werden Betriebsräte immer häufiger mit der Einführung von KI in ihren Unternehmen konfrontiert. Um diese Herausforderung anzugehen, wurde im Rahmen des Projekts KI-Studios, gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, vom Fraunhofer IAO und vom IAT der Universität Stuttgart eine Methode zur partizipativen Einbindung von Betriebsratsmitgliedern entwickelt – das AI Canvas für Betriebsratsmitglieder. Zur Entwicklung der Methode wurden vorab Interviews mit Betriebsratsmitgliedern aus unterschiedlichen Unternehmen geführt, ausgewertet und analysiert sowie weitere aktuelle Studienergebnisse, die Gesetzeslage und einschlägige Literatur genauer beleuchtet. Folgende Punkte konnten dabei festgehalten werden:

Daher ergibt sich die Notwendigkeit eines Instruments, das eine kontinuierliche, konstruktive und partizipative Einbindung der BR systematisch fördert und Betriebsräte dazu befähigt, Potenziale und Risiken von KI-Anwendungen für Beschäftigte zu identifizieren und Lösungen für potenzielle negative Auswirkungen zu erarbeiten zum mitarbeitendengerechten Einsatz von KI-Anwendungen.

Die übergeordneten Ziele der Methode waren demnach:

Regelungs- und Gestaltungsbereiche für BR bei der KI-Einführung und -Entwicklung

Zunächst werden sechs relevante Regelungs- und Gestaltungsbereiche für Betriebsräte bei der KI-Einführung und -Entwicklung identifiziert und aus rechtlicher sowie menschzentrierter Gestaltungsperspektive beleuchtet:

  1. Datenschutz
    KI-Anwendungen können personenbezogene Daten von Beschäftigten beinhalten. Somit ist die Einführung und Entwicklung datenschutzrechtlich zu beurteilen. Nach § 75 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben BR die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmenden zu schützen. Dabei kontrollieren sie die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften gemäß § 80 Abs. 1 BetrVG. Hierzu zählen unter anderem auch die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung sowie die bestehenden Betriebsvereinbarungen.
  1. Leitungs- und Verhaltenskontrolle
    Durch KI können die Leistungen von Mitarbeitenden kontrolliert oder Trends im Mitarbeitendenverhalten ermittelt werden. Nach BetrVG §87 Abs. 1 Nr. 6 haben BR ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Systemen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmenden zu überwachen.
  1. Physische & psychische Belastungen
    Gesundheitliche Belastungen wie Überforderung durch erhöhtes Arbeitstempo, Monotonie oder Angst vor Fehlern, können durch den Einsatz von KI-Anwendungen verstärkt werden. Um dies zu vermeiden, können sich BR auf Beteiligungsrechte wie das BetrVG §91 beziehen, um angemessene Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastung zu verlangen.
  1. Beschäftigungssicherung
    Da KI-Anwendungen potenziell dazu geeignet sind, Arbeitsplätze zu ersetzen, können BR nach BetrVG §92 Vorschläge zur Beschäftigungssicherung machen, über die der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat zu beraten hat. So kann der Betriebsrat beispielsweise Vorschläge über Änderungen der Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe machen.
  1. Förderung von Qualifikation und individuellen Potenzialen
    Da mit der Einführung neuer KI-Anwendungen häufig eine Weiterbildung für die Mitarbeitenden, die mit der KI-Anwendung arbeiten, einhergeht, haben BR nach § 98 BetrVG bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen.
  1. Diskriminierungsschutz
    Die Daten, mit denen eine KI-Anwendung trainiert wird, können Vorurteile und Stereotypen oder auch Perspektivlücken enthalten, was zu Diskriminierung führen kann. Nach § 75 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus unterschiedlichsten Gründen unterbleibt.

AI Canvas für partizipative Einbindung von Betriebsratsmitgliedern

Zum Erreichen dieser Ziele wurde das sogenannte „AI Canvas für partizipative Einbindung von Betriebsratsmitgliedern“ entwickelt, inspiriert von einer vom Fraunhofer IAO entwickelten allgemeinen AI Canvas (Pokorni et. al. 2021). Es handelt sich um ein Instrument zur kontinuierlichen, konstruktiven und partizipativen Einbindung von Betriebsräten, das als Leitfaden dient, um KI-Anwendungen im Hinblick auf Potenziale sowie auf wichtige Regelungsbereiche zu analysieren, konstruktive Empfehlungen zur mitarbeitendenorientierten Gestaltung der KI-Systeme zu formulieren und einen Partizipationsprozess für Beschäftigte und eine langfristige Evaluation zu dokumentieren.

Im ersten Teilbereich des Canvas werden Betriebsräte dazu angeleitet, die Potenziale der zu bewertenden KI-Anwendung, die für das Unternehmen und vor allem für die Beschäftigte bestehen oder bestehen sollen, zu identifizieren. Das Ziel dabei ist die Förderung der Potenziale wie die unterstützende Funktion bei der Entscheidungsfindung durch eine verbesserte Datenanalyse oder die Automatisierung ungeliebter Aufgaben.

BR-AI-Canvas 1: Potenziale
Abbildung 1: Teilbereich 1 der AI Canvas für Betriebsräte

Im zweiten Teilbereich des Canvas werden Betriebsräte verstärkt dazu befähigt, ihre Beteiligungsrechte bei der Planung des Einsatzes von KI in Anspruch zu nehmen und auszuschöpfen. Die Grundlage dazu schafft §90 Abs. 1 Nr. 3; Abs. 2 BetrVG. Dieser besagt, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat bei der Planung des Einsatzes von KI zu informieren und mit ihm darüber zu beraten hat. Die rechtliche Beteiligung des Betriebsrats hört an dieser Stelle jedoch nicht auf. Je nachdem, welche Auswirkungen eine KI-Technologie haben kann, greifen noch andere Paragrafen im BetrVG. Dazu werden Betriebsräte mit Hilfe von Leitfragen angeleitet, potenzielle Risiken im ersten Schritt zu identifizieren, die in unterschiedliche Regelungsbereiche des Betriebsverfassungsgesetzes fallen. Der Teilbereich stellt also die sechs oben genannten betriebsratsrelevanten Bereiche dar und unterstützt die partizipative Konzeption der KI-Anwendung durch Fragen zu den jeweiligen Regelungs- und Gestaltungsbereichen. Ist die linke Seite des Canvas ausgefüllt, wurden also Risiken identifiziert, werden Betriebsräte dazu angehalten, die potenziellen Risiken der KI-Anwendung in einem dreistufigen Farbsystem zu bewerten: rot bedeutet größere Probleme, gelb kleinere Probleme und grün keine Probleme. Damit Betriebsräte mit dem Arbeitgeber über die KI-Anwendung beraten und Empfehlungen abgeben können, werden sie im nächsten Schritt erneut mit Leitfragen dazu angehalten, konstruktive Lösungen für identifizierte Risiken zu erarbeiten. Auch hier erfolgt anschließend wieder eine Bewertung des Risikos, nach der von den Betriebsräten erarbeiteten Lösung. Grün bedeutet in dem Fall, dass einer derartigen Umsetzung steht nichts im Wege steht. Gelb bedeutet, eine derartige Umsetzung beinhaltet nach wie vor kleinere Probleme, die im weiteren Projektverlauf adressiert werden müssen. Rot bedeutet, dass der Betriebsrat keine konstruktive Lösungsmöglichkeit erarbeiten konnte und ein separater Termin dazu notwendig ist.

Durch das Ampelbewertungssystem wird auch visuell die Mitwirkungskraft der BR deutlich – wenn sich die Ampelfarben durch die Betriebsratsbeteiligung von rot/gelb in Richtung gelb/grün bewegen. Darüber hinaus wird so visualisiert, inwiefern eine Lösungsidee bereits vorliegt, die eine Zustimmung zur Inbetriebnahme begünstigt.

Im Zusammenspiel mit den Fragen zu den Potenzialen können somit Betriebsräte dazu beitragen, dass KI-Anwendung eine bestmögliche Unterstützung für Beschäftigte darstellt, ohne dass dabei Risiken in Kauf genommen werden, was wiederum zu einer erhöhten Akzeptanz führen kann.

BR-AI-Canvas 2: Risiken
Abbildung 2: Teilbereich 2 der AI Canvas für Betriebsräte

Ein dritter Teilbereich des Canvas öffnet für die Betriebsräte den Ausblick in den weiteren Projektverlauf, indem Überlegungen zum Partizipationsprozess und zur langfristigen Evaluation dokumentiert werden können. Dies soll auf der einen Seite dazu dienen, dass Betriebsräte die Wichtigkeit der Einbindung vor allem der betroffenen Mitarbeitenden in das Unternehmen tragen und auf der anderen Seite zu einer stetigen Evaluierung der KI-Systeme angeregt wird.

BR-AI-Canvas 3: Partizipation und Evaluation
Abbildung 3: Teilbereich 3 der AI Canvas für Betriebsräte

Ausblick: Verwendung der Methode

Das Canvas kann zum einen in Workshops verwendet werden, um Betriebsratsmitgliedern für Potenziale und Risiken von betrieblichen KI-Anwendungen zu sensibilisieren und ihre KI-Kompetenzen zu stärken. Zum anderen kann das Canvas als konstruktive Methode in betrieblichen KI-Projekten verwendet werden, in dem eine im Unternehmen geplante KI-Lösung näher betrachtet wird. Die strukturierte Darstellung des AI-Canvas dient dabei als Orientierung für BR bei der Einführung von KI-Anwendungen und befähigt sie dazu, sich über die gesetzlich geregelte Notwendigkeit hinaus konstruktiv in eine menschenzentrierte Gestaltung des betrieblichen KI-Einsatzes einzubringen, indem sie konkrete Gestaltungsempfehlungen aussprechen. Auch eine etwaige Skepsis von BR gegenüber KI-Technologien kann durch die AI Canvas aktiv adressiert werden. Die BR werden angeleitet, in Lösungspotentialen zu denken und die Risiken sowie Potenziale zu benennen.

Die AI Canvas für partizipative Einbindung von Betriebsratsmitgliedern wird in den nächsten Monaten innerhalb des Netzwerks von KI-Studios intensiv eingesetzt und im Einsatz wissenschaftlich begleitet. Erkenntnisse daraus können dazu beitragen, KI-Anwendungen künftig noch besser in einem Miteinander zwischen BR, Mitarbeitenden und Arbeitgeberseite gemeinsam zum Wohle sowohl des Unternehmens als auch der Mitarbeitenden zu gestalten.

Besuchen Sie für weitere Informationen die Projektwebseite des Projekts KI-Studios.

Literatur

Bentler, D., Gabriel, S., Latos, B. A., Dietrich, O., Dumitrescu, R., & Maier, G. W. (2023). Partizipatives Gestaltungsvorgehen bei der Einführung Künstlicher Intelligenz in produzierenden Unternehmen. In Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. (Ed.), Nachhaltig Arbeiten und Lernen – Analyse und Gestaltung lernförderlicher und nachhaltiger Arbeitssysteme und Arbeits- und Lernprozesse

Fountaine, T., McCarthy, B, & Saleh, T.: Building the AI-Powered Organization. Harvard Business Review July-August 2019.

Hoppe, M. (2023): Künstliche Intelligenz in der betrieblichen Praxis – Durch Mitbestimmung und Beteiligung die Transformation meistern. In: FlfF-Kommunikation 3/23, 26-30.

Leuteritz, J.-P., Tagalidou, N., Janssen, D. (2024): Forschungsbericht KI-ULTRA (in Erscheinung)

Pokorni, B., Braun, M., & Knecht, C. (2021). Menschzentrierte KI-Anwendungen in der Produktion—Praxiserfahrungen und Leitfaden zu betrieblichen Einführungsstrategien (KI-Fortschrittszentrum & Fraunhofer IAO, Hrsg.).

Florian Schäfer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter IAT Universität Stuttgart in Kooperation mit Fraunhofer IAO

Florian Schäfer1
Doris Janssen

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fraunhofer IAO

Doris Janssen DRM, 2346-5854
Dr. Kathrin Pollmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fraunhofer IAO

Bild KP
Nora Fronemann

Teamleitung User Experience Fraunhofer IAO

Nora Fronemann