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Wissenspool-Beitrag

Grüne Wasserstofftechnologien nutzen und das notwendige Fachwissen schnell und gezielt in den Betrieb holen

von Manuela Grigorjan
20.10.2022
Lesezeit: ca. 23 min

Die „Grüne“ Wasserstofftechnologie als Energieträger für den Strukturwandel nutzbar zu machen, ist Anliegen vieler Akteure. In einer Vorrecherche des Zentrums digitale Arbeit wurde festgestellt, dass aktuell beim Einsatz der Wasserstoffanwendungen die technisch-technologischen Entwicklungen im Vordergrund stehen. Künftige Berufsbilder und insbesondere konkrete Fachkompetenzen, die in den Unternehmen benötigt werden, wurden jedoch bundesweit nur marginal betrachtet.

Dabei kann die Wasserstoffwirtschaft nur dann erfolgreich als Potentialträger etabliert werden, wenn auch entsprechende Qualifizierungspläne und -angebote auf allen Aus- und Weiterbildungsebenen mit den technisch-technologischen Innovationen mitziehen.

Deshalb hat das ZdA eine wissenschaftliche Studie zu „Beruflichen Qualifikationen in der Wasserstoffindustrie“ in Auftrag gegeben und gemeinsam mit dem Wasserstoffnetzwerk HYPOS e.V. umgesetzt. Erstmalig in Deutschland wurden hier  Berufsbilder und Qualifikationserfordernisse für den Hochlauf der Wasserstoffökonomie untersucht – mit Bezug auf die im ZdA-Projektauftrag definierte Zielregion – die ostdeutschen Bundesländer.

Die Recherche wurde für alle Abschnitte entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette, d.h. für Forschung und Entwicklung, für Erzeugung, für Transport, Logistik sowie für die Speicherung und Anwendung, durchgeführt. Dabei sind anwendungsseitig die Energiesektoren Strom, Wärme, Verkehr und Industrie berücksichtigt worden.

Mehr erfahren zu den Studienzielen

Erklärtes Ziel war es, ein ausführliches und differenziertes Bild zum Ist-Zustand über die vorhandenen Ausbildungs- und Studiengänge sowie auch über die einzelnen Aus-, Weiterbildungs- und Umschulungsmodule mit deren Inhalten zu erhalten, die Wasserstofftechnologien in ihrem Portfolio einschließen. Die Ergebnisse der Istanalyse (Angebotsseite) wurden mithilfe von Experteninterviews den zu erwartenden Wissens- und Kompetenzbedarfen der Wasserstoffunternehmen (Nachfrageseite) gegenübergestellt, um Differenzen aufzuzeigen und mögliche Lücken zu identifizieren.

Trotz des knapp bemessenen Untersuchungszeitraumes von Juli bis September 2022 gelang es, umfängliche Rechercheergebnisse zu vorhandenen akademischen und grundständigen Qualifizierungsangeboten herauszuarbeiten und aufzubereiten

Die Studienergebnisse wurden am 5. Oktober 2022 im Rahmen einer ZdA-Veranstaltung in der Kommunikationszone des Wasserstoffnetzwerkes Hypos e.V. einem ausgewählten, hochkarätigen Expertenkreis vorgestellt und erörtert. Teilnehmer*innen waren Vertreter*innen mitteldeutscher Wasserstoffnetzwerke, der Kammern, Gewerkschaften, Bildungsanbieter sowie wissenschaftlicher Einrichtungen. 

Auf akademischer Ebene wurden im Untersuchungsgebiet 15 Universitäten und Hochschulen ermittelt, die in insgesamt 91 Studiengängen Module zu Wasserstofftechnologien in ihrem Portfolio anbieten.

Im Bereich der beruflichen Weiterbildung konnten insgesamt 23 Angebote in den ostdeutschen Bundesländern identifiziert werden. 18 dieser Angebote wurden als Onlineformate angeboten, zwei als Hybridformate und drei in Präsenz. Die Präsenzangebote verorteten sich in Sachsen (2) und Mecklenburg-Vorpommern (1). Acht der 23 Angebote würden auf Anfrage auch eine Inhouse-Umsetzung anbieten.

Im akademischen Bereich konnten in den fünf ostdeutschen Bundesländern (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) in Summe 64 Studiengänge mit entsprechenden Inhalten verortet werden sowie 27 weitere in Berlin.

Die innerhalb der akademischen Lehre untersuchten Bildungsange-bote verdeutlichten, dass Wasser-stofftechnologien vorwiegend als Inhalte einzelner Module abgebildet werden. Seltener wurden komplette Module angeboten, die sich ausschließlich Wasserstofftechnologien widmen.

Ein vollständiger Studiengang „Wasserstofftechnologie und -wirtschaft“ war einmal vorhanden und zwar im Portfolio einer privaten Universität.

Die Studienschwerpunkte und -module sind in erster Linie entlang einer praxisnahen Anwendung von Wasserstoff in bestehende (Bachelor-) Regelstudiengänge eingebunden. Das Thema „Wasserstoff“ wird dabei vorrangig in den Studiengängen „Energietechnik“ und „Wirtschaftswissenschaften“ behandelt.

Abb4
Abb. 2: Anzahl der Studiengänge mit Inhalten zu
Wasserstofftechnologien – nach Bundesländern
Abb5
Abb. 3: Schwerpunkte entlang der Wasserstoffwertschöpfungskette innerhalb
der herausgearbeiteten Weiterbildungen

Die (Weiter-)Bildungsangebote verteilten sich auf 12 Institutionen. Zwei davon waren etablierte Forschungseinrichtungen und boten insgesamt acht Weiterbildungen an. Sechs der Lehrgänge fokussierten vorwiegend auf einen Schwerpunkt – die Sicherheit bei der Erzeugung, dem fachgerechten Umgang von/mit Wasserstoff sowie der Wartung der entsprechenden Anlagen.

In den geführten Interviews mit fünf Expert*innen zum Thema „Wasserstoff-Kompetenzen“ wurde deutlich, dass es prinzipielle Schwierigkeiten gibt, überhaupt Personal in den technischen Fachbereichen und mit einem guten grundständigen Studium zu finden.

Große Firmen, insbesondere diejenigen, die schon mit Wasserstoff arbeiten (z.B. die chemische Industrie), bilden bereits heute ihre eigenen Wasserstoff-Fachkräfte selbst aus. Beim den klein- und mittelständischen Betrieben, insbesondere bei jenen, die Wasserstoff als Energieträger nutzen möchten, bestehen jedoch noch Unsicherheiten darüber, welche Kompetenzen zukünftig erforderlich sind, welche Bildungsangebote existieren und wie diese ins Unternehmen transferiert werden können.

Zudem haben gerade die KMU Probleme, personelle Ressourcen für Zukunftsthemen (z.B. für Wasserstoff-Qualifizierungsmaßnahmen) freizustellen. Deshalb planen die KMU, ihr Personal nur bei Bedarf nachzuschulen. Modulare Weiterbildungen werden dabei den akademischen Angeboten (Studiengängen) vorgezogen.

Mehr erfahren über die Expertenaustauschrunde

In der Expertenaustauschrunde am 5. Oktober 2022 wurden für die weitere Bearbeitung des Themas folgende Ansatzpunkte und Herausforderungen herausgearbeitet:

  • In der Studie wurden ostdeutsche Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote mit wasserstoffrelevanten Lerninhalten in Studiengängen und Weiterbildungen erhoben. Nun muss der Soll-Ist Abgleich an wasserstoffrelevantem Know-how für die ostdeutsche Betriebe und deren Beschäftigte stattfinden.
  • Dazu sind weitere Untersuchungen in den Netzwerken der Wasserstoffakteure in Planung. Für dessen Erfolg ist eine verstärkte Kommunikation in/mit den Unter-nehmen erforderlich, um frühzeitig Bedarfe zu identifizieren und Lösungsstrategien für einen aktiven Hochlauf der Wertschöpfungskette Wasserstoff zu initialisieren. Wenn der Soll-Ist Abgleich umgesetzt ist, können regionale Bildungsträger ihre bestehenden Qualifizierungsangebote anpassen bzw. passende aufsetzen.
  • Für die Regionalen ESF-Zukunftszentren ist die Entwicklung und Erprobung von innovativen Qualifizierungskonzepten in den KMU besonders bedeutsam. Dazu wird das Zentrum digitale Arbeit im Nachgang des Soll-Ist Abgleichs Schnittstellen zwischen den KMU und den Regionalen ESF-Zukunftszentren erarbeiten.
  • Konsens bestand in der Expertenrunde auch darüber, dass für eine erfolgreiche Transformation insbesondere die Fachberufe in den Fokus gestellt werden sollten.
  • Für die Marktfähigkeit der Angebote spielt das Qualifizierungschancengesetz und die entsprechende Offensive WEITER.BILDUNG der Bundesagentur für Arbeit eine exponierte Rollen der Wasserstoffwirtschaft sind teilweise zertifizierte Weiterbildungen, beispielsweise in der Sicherheitstechnik, zwingend erforderlich. Darüber hinaus gehende zertifizierte Weiterbildungen, wie Sie u.a. von den Kammern angeboten werden könnten, bedürfen einer Verkürzung des Zertifizierungsverfahren. Hier sind DIHK und entsprechende Prüfungsausschüsse etc. gefordert.

In Ableitung der Studienergebnisse und aus den Anregungen der Expertenrunde vom 05.10.2022 wurden durch die Autorin folgende Empfehlungen herausgearbeitet:

  • Wasserstoff wird bis zur Umstellung der Wirtschaft auf erneuerbaren Energien eine Schlüsselrolle in Deutschland spielen, der „grüne“ Wasserstoff als Energieträger sogar noch weit darüber hinaus. Da Wasserstoff sowohl mobil als auch stationär genutzt werden kann, gewinnt er für all jene KMU, die ihn als künftiges Speichermedium nutzen werden und ebenfalls für die Sektorenkopplung verschiedener Wirtschaftsbereiche zunehmend an Bedeutung.

Die Wasserstofftechnologie ist entwicklungsseitig gut aufgestellt, die Unternehmen benötigen jedoch dringend gut ausgebildete Fachkräfte, die die Erzeugung, Anwendung und Wartung der Wasserstoffanwendungen sicherstellen. Insbesondere klein- und mittelständische Wasserstoffbetriebe besitzen Unterstützungsbedarfe bei der Herausarbeitung und Formulierung von Kompetenzanforderungen.

Dieses Dilemma zeigt sich besonders deutlich bei den entsprechenden Stellenan-zeigen, die größtenteils als „Wasserstofftechnologe“, „Wasserstoffexperte“, „Projektmanager Wasserstoff“ oder „Systemingenieur Wasserstoff“ ausgeschrieben sind. Fakt ist, dass die sog. „Wasserstoffberufe“ auf etablierten Studien- und Ausbil-dungsabschlüssen aufsetzen. Die Unternehmen suchen schlussendlich Fachkräfte in vorhandenen Berufen, wie Elektrotechniker, Anwendungsmechaniker, Chemiker, Maschinenbauingenieure, die (erweiterte) Wasserstoffkenntnisse mitbringen.

In den Experteninterviews der Studie wurde deutlich, dass sich die Unternehmen von den Bildungsanbietern (Hochschulen, Universitäten und auch Weiterbildungsinstituten) flexible Qualifizierungsmodule wünschen, die basierend auf den grundständigen Berufsbildern auch ihre betrieblichen Anforderungen bzgl. der Wasserstoffkompetenzen berücksichtigen.

Hier müssen die geplanten Befragungen bei den Unternehmen ansetzen. Die regionalen Wasserstoffnetzwerke bieten mit ihren Mitgliederbeständen gute Voraussetzungen für die Gewinnung von teilnehmenden Betrieben. Da größere Firmen heute schon ihre „Wasserstoff-Fachkräfte“ selbst ausbilden und hier Vorlauf haben, können Mentorenprogramme unterstützen, die KMU mitzunehmen, ihre Erfahrungen zu teilen und auf vorhandenem Wissen aufzubauen.

Der in der Studie erarbeitete Interviewleitfaden und die Untersuchungsmethodik bieten für die weiterführenden Erhebungen auf der Nachfrageseite (Unternehmen) wertvolle Ansätze, die verifiziert und für weiterführende Untersuchungen auch auf andere Bundesländer übertragen werden können.

Die ermittelten Unternehmensbedarfe können in Qualifizierungskatalogen Eingang finden, die – aufgeschlüsselt nach Berufsfeldern – die entsprechenden Kompetenzanforderungen zusammenfassen. Für die Aus- und Weiterbildungslandschaft sind daraus ableitend Wasserstoffmodule leichter und vor allem betriebsnah konfigurierbar.

In diesem Zusammenhang werden Bildungsallianzen als förderlich angesehen. Wenn die Hochschulen, Universitäten und auch Forschungsinstitute ihre Labor- und Experimentierräume öffnen, können sie durch Kooperationen mit Weiterbildungsträgern ebenfalls profitieren. Die Bildungsinstitute vermitteln die theoretischen Wasserstoffkompetenzen und lassen ihre Schulungsteilnehmer*innen für die praktischen Module in den Hochschullaboren ausbilden.

In der am 12.10.2022 veröffentlichten Fachkräftestrategie der Bundesregierung sollen die Unternehmen und Betriebe „durch Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik bei der Weiterbildung ihrer Beschäftigten unterstützt werden.“

Die Agenturen für Arbeit nehmen dabei eine Schlüsselrolle im Qualifizierungsprozess ein und sind frühzeitig zu beteiligen. Auf ihrer Plattform „Karriere und Weiterbildung“, wo umfänglich und ausführlich Bildungsangebote gelistet sind, sollten auch die konfigurierten Wasserstoffmodule integriert werden. Die Agenturmitarbeiter*innen kennen zudem ihre (arbeitsuchenden) Kund*innen genau und haben direkten Einfluss bei Auswahl und Vermittlung von Schulungsteilnehmer*innen.

  • Eine weitere Empfehlung lautet, die Sozialpartner als Akzeptanzträger von Anfang an mit einzubeziehen. Gewerkschaften und Betriebsräte können motivieren und unterstützen, Karrierechancen zu erschließen und Mitarbeiter*innen für berufs- begleitendes Lernen zu gewinnen. Sie sind als Interessenvertreter darauf bedacht, dass berufliche Höherqualifikationen auch mit höheren Lohn-/ Gehaltsvergütungen einhergehen. Außerdem haben sie das Potenzial, als Multiplikatoren zu fungieren, wenn es darum geht, Qualifizierungsanforderungen der verschiedenen Wasserstoffsektoren in die diversen Branchenverbände zu streuen.
  • Die Unternehmen müssen sich schon heute um die „Fachkräfte von morgen“ bemühen und für ihre Betriebe nicht erst bei Schulabgängern oder Studenten werben. Standardisierte Berufsorientierungsmaßnahmen, wie die alljährlichen „Ausbildungsmessen“ oder „Tage der offenen Hochschultüren“ sind nicht mehr zeitgemäß und können allenfalls begleitende Instrumente sein.
  • Auf dem zukünftig begrenzten Fachkräftemarkt werden sich nur jene Unternehmen einen Vorsprung erarbeiten können, die kontinuierlich und proaktiv mit innovativen Akquisestrategien aufwarten, die einen direkten Austausch mit allgemein- und berufsbildenden Schulen pflegen und die ihr Praxiswissen als unterrichtsbegleitende Instrumente anbieten. Derartige Initiativen, wie „Unternehmer in die Klassenzimmer“, „Offene wöchentliche Praxistage“, „Talent Companies“ oder „Hypos macht Schule“ bieten gute Voraussetzungen,  um frühzeitig für die „Technologien und Berufe der Zukunft“ zu begeistern, haben aber noch Leuchtturmcharakter. 

Jedes Unternehmen sollte eine eigene Fachkräftestrategie entwickeln, um Nachwuchs zu gewinnen bzw. vorhandene Mitarbeiter*innen zu binden und fit zu halten.

Dazu sind insbesondere kleine und mittlere Betriebe angehalten, sich auf neue Arbeitsformen einzustellen und auf New-Work-Elemente zurückzugreifen, die sie auch ohne große HR-Abteilungen etablieren können.

Agiles Arbeiten, Work-Life-Blending, Crowdworking, Desk-Sharing und Mixed Teams bergen in Verbindung mit digitalen Tools eindeutige Vorteile und Potenziale für flexibles Arbeiten, Produktivität, Kreativität, Innovation und Mitarbeiterzufriedenheit. Das von BMAS und ESF geförderte Programm Zukunftszentren mit dem Zentrum digitale Arbeit (kofinanziert durch den Freistaat Sachsen, vertreten durch das SMWA) bieten hier Unterstützung bei der Beratung und Umsetzung an.

Die gesamte Studie können Sie hier nachlesen.

Autor
Dr. Manuela Grigorjan

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

ATB Arbeit, Technik und Bildung gGmbH

Geschäftsstelle Eilenburg
Maxim-Gorki-Platz 1
04838 Eilenburg